Akzeptanz abweichenden Verhaltens als Kontexteffekt

Akzeptanz abweichenden Verhaltens als Kontexteffekt

In meiner Doktorarbeit habe ich untersucht, wie sozial segregierte Wohngebiete die Normen ihrer Bewohner beeinflussen. Der Beispielsstadtteil war Köln-Chorweiler und die exemplarisch untersuchte Norm die Akzeptanz abweichenden Verhaltens. In diesem Beitrag möchte ich die theoretischen Hintergründe diskutieren, wie Wohngebiete die Normen ihrer Bewohner beeinflussen.

Zuerst einmal, Kontexteffekte von Wohngebieten können vieles sein. Der amerikanische Wissenschaftler George Galster (2012) unterscheidet vier unterschiedliche Mechanismen von Kontexteffekten.

  • Sozial-Interaktive Mechanismen: Effekte werden durch Interaktionen zwischen Menschen hergestellt, wie z.B. durch den Einfluss krimineller Netzwerkkontakte.
  • Umweltbezogene Mechanismen: Effekte werden durch die physisch-materielle Umgebung hergestellt, wie z.B. durch gesundheitsschädliche Luftwerte im Wohngebiet oder eine gewalttätige Umwelt.
  • Geografische Mechanismen: Effekte werden durch ihre Lage bedingt, wie z.B. durch einen fehlenden Anschluss in Stadtrandlagen an den ÖPNV.
  • Institutionelle Mechanismen: Effekte werden durch Institutionen hergestellt, z.B. wenn Angebote der Sozialen Arbeit, trotz Notwendigkeit, im Quartier fehlen.

Bei der Beeinflussung von Normen beziehe ich mich im Weiteren einzig auf sozial-interaktive Kontexteffekte. Als Norm verstehe ich, in Anlehnung an Nonnenmacher (2009), eine Verhaltensvorschrift, die sowohl positive als auch negative Sanktionen zur Folge hat und von der Gesellschaft als verbindlich gesehen wird. Zudem ist eine Differenzierung in personale und nicht-personale Einflussfaktoren auf Normen angebracht.

Personale Einflussfaktoren: Viele Studien an der Schnittstelle zwischen Kriminologie und Stadtsoziologie beschäftigen sich mit dem Zusammenhang zwischen Ort und Kriminalität. Abweichendes Verhalten ist dabei mehr als Kriminalität und schließt auch solche Handlungen ein, die rechtlich nicht strafbar sind, aber negative soziale Sanktionen zur Folge haben. Ein Beispiel sind Betrunkene auf öffentlichen Plätzen. Im Kern konnte ich fünf personale Einflussfaktoren auf die Akzeptanz abweichenden Verhaltens finden, die auf den ersten Blick wenig mit Wohngebieten zu tun haben. Aber dazu später. Diese sind: die Wahrnehmung von social disorder sowie die Wahrnehmung von physical disorder. Beide sind Merkmale, die in der Broken-Window Theorie vorkommen. Dazu Stress als Folge kognitiver Dissonanz. Auch das Vertrauen in andere Menschen, in der Literatur benannt als social trust, beeinflusst die Offenheit gegenüber den Einflüssen anderer. Zuletzt ist die alltägliche Orientierung am Stadtteil, die Binnenorientierung, offenbar ausschlaggeben dafür, ob und wie deutlich das Wohngebiet einen Einfluss auf die Normen ihrer Bewohner ausübt.

Nicht-Personale Einflussfaktoren: Hier sind ebensolche Merkmale gemeint, die nicht unbedingt personengebunden sind und das sind zwei. Erstens der Einfluss delinquenter Netzwerkkontakte. Zweitens, dass der Stadtteil einen Erfahrungsraum darstellt. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass im Wohngebiet auch Normen und Wertevorstellung erfahren und erlernt werden.

Schema Kontexteffekte

Nun sind offenbar besonders die personalen Dimensionen wichtig, ob man Normen von der Umgebung lernt. Aber ganz so einfach ist es nicht. Gerade das Zusammenspiel zwischen Umwelteinflüssen und Offenheit des Einzelnen gegenüber diesen, in der Literatur vulnerability (deutsch: Verletzlichkeit) genannt, macht den Kontexteffekt aus. Es passen sich insbesondere diejenigen der Umwelt an, die eine besondere Offenheit gegenüber ihr haben. Das ist hilfreich auch um Stress abzumildern, wodurch wahrgenommene Unordnung in Ordnung umgedeutet wird. Eben dieser Prozess hat einen Einfluss auf die Normen der Bewohner und ist der Kontexteffekt. Durch das Wohngebiet werden so die Normen der Bewohner beeinflusst.

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Die gesamte Arbeit kann unter folgendem Link herunter geladen werden: Leben in herausfordernden Wohngebieten. Das Beispiel Köln-Chorweiler

Literatur

Galster, G. (2012). The mechanism(s) of neighbourhood effects: theory, evidence, and policy implications. In M. van Ham, D.Manley, L. Simpson, N. Bailey und D. Maclennan (Hrsg.), Neighbourhood effect research.Dordrecht: Springer, S.23-56.

Nonnenmacher, A. (2009). Ist Arbeit eine Pflicht? Normative Einstellungen zur Erwerbsarbeit, Arbeitslosigkeit und der Einfluss des Wohngebiets. Wiesbaden: VS Verlag.

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