15 Dez. Diversität und Segregation
In diesem Beitrag möchte ich einen Überblick zum Verhältnis von sozialer Mischung und ethnischer Vielfalt innerhalb von Stadtteilen geben. Denn in den letzten Jahren ist eine immer stärkere soziale Entmischung von Stadtteilen zu beobachten, während sich gleichzeitig die Zuwanderung nach Deutschland diversifiziert hat. Dazu wird zu Beginn auf die soziale Polarisierung in Städten eingegangen. Anschließend wird die soziale sowie ethnische Mischung diskutiert. Abschließend wird die Herausforderung auf die Stadterneuerung skizziert.
Schon vorweg, eine einheitliche Definition was ein Quartier ist gibt es nicht und die Diskussion um diesen Gegenstadt prägt die sozialwissenschaftliche Debatte seit den Ursprüngen der fachlichen Auseinandersetzung mit Städten. Die einfachste und vielleicht daher auch brauchbarste Sichtweise ist, dass ein Quartier ein Teil einer Stadt ist, in dem Menschen leben. Wie groß die Stadt oder das Quartier ist, steht damit noch nicht fest. Dabei unterschieden sich die Stadtteile einer Stadt sozialstrukturell voneinander.
Die Berücksichtigung von Segregation ist umso wichtiger, da seit einigen Jahren die soziale und damit auch räumliche Polarisierung in den Städten zunimmt. Die Gründe dafür sind vielfältig, lassen sich aber zwischen raumbezogene und nicht raumbezogene Aspekte unterscheiden. Unter raumbezogene Triebkräfte sind die offenbar immer wichtiger werdende „Visitenkartenfunktion“ von Orten, der rapide Rückgang preisgebundener günstiger Wohnungen sowie die zunehmende Reurbanisierung zu verstehen. Nicht-raumbezogene Einflussfaktoren sind z.B. zunehmend brüchige Erwerbsbiografien und die damit einhergehenden Armutsrisiken. Wer wo wohnt, wird hauptsächlich über das jeweilige Vermögen bestimmt. Wenn also die Eigentumsungleichheit in einer Gesellschaft zunimmt, dann nimmt zumeist auch die Ungleichheit innerhalb einer Stadt zu. Eine solche Polarisierung auf der Ebene der Stadt bedeutet für die Quartiere, dass sie sich sozial entmischen. Reiche wohnen dadurch immer häufiger neben Reichen und Arme neben Armen. Zwar sind die Dimensionen der Entmischung in Deutschland nicht so deutlich wie in andere Staaten der Welt, aber dennoch erkennbar.
Auf der Quartiersebene ist der Prozess der sozialen Entmischung entweder als Downgrading oder als Gentrification bemerkbar. Downgrading meint den entgegengesetzten Prozess, also den Fortzug von „Statushöherer “ und der Zuzug „Statusniedrigerer“, ein Prozess, der z.B. beim sozialen Wandel westdeutscher Großsiedlungen festzustellen ist.
Die Polarisierung wird auch deshalb als Bedrohung wahrgenommen, weil sie dem Ideal der sozialen Mischung widerspricht. Überlegungen zur sozialen Mischung sind oft normativ und gehen davon aus, dass Städte nicht nur Orte des nebeneinander, sondern auch des Miteinanders sein sollen. Die Idee ist, dass benachteiligte von weniger benachteiligten Gruppen profitieren, wenn sie nur alltäglichen Kontakt haben. Verkürzt steht dahinter die Annahme, dass wenn man nur eng genug zusammen wohnt auch Austausch über alltägliche Themen, wie die Jobsuche, stattfindet. Allerdings ist das nicht so einfach. Nast und Blokland (2013) haben zum Beispiel gezeigt, dass selbst unter den Bedingungen sozialer Mischung innerhalb einer Schule, die in einem sozial gemischten Stadtteil liegt, sozial unterschiedliche Eltern nur partiell und sehr sachbezogenen Kontakt haben. Damit ist zwar einer Annahme des Vorteils sozialer Mischung widersprochen, dennoch ist sie nützlich für eine Gesellschaft. Denn wie lerntheoretische Arbeiten zeigen, lernen wir auch durch Beobachtung und Interaktion. Dadurch werden in der Nachbarschaft, sollte sie sozial gemischt sein, unterschiedliche Normen und Lebensstile erfahren sowie soziale Kontrolle ausgeübt. Benachteiligende Kontexteffekte werden dadurch eher abgemildert.
Im Kontrast zu einer zunehmenden sozialen Entmischung von Quartieren ist, unter den Bedingungen ethnischer Segregation, eine zunehmende Diversität zu erkennen. Dabei ist das Bild vonseiten der Politik oder Stadtplanung oftmals noch geprägt von Vorstellungen über eine kleinräumige Dominanz einer oder vielleicht zwei ethnischer Gruppen. Allerdings hat sich mit der zunehmenden europäischen Integration, globalen Verflechtung der Wirtschaft und Wissenschaft sowie der Flüchtlingszuwanderung die Bevölkerung auch in deutschen Städten, und insbesondere in segregierten Quartieren, diversifiziert. Einige wenige große Migrantengruppen, die dauerhaft nach Deutschland ziehen, sind abgelöst worden durch eine Vielzahl kleinerer die z.T. dazu auch zwischen unterschiedlichen Ländern pendeln. Von monoethnischen Zuwanderergebieten, wie z.B. „Italienerviertel“, kann nicht mehr gesprochen werden. Viel mehr sind, im Gegensatz zu nordamerikanischen Städten, eher super-diversen Stadtteilen zu erkennen. In solchen Quartieren stellt keine Gruppe mehr die Mehrheit, wodurch es zu neuen Aushandlungsprozessen und Beteiligungsprozessen kommen sollte. Doch schon alleine die Sprachwahl von Beteiligungsangeboten kann, wenn neben Deutsch andere Sprachen gewählt werden sollen, zu Überforderungen führen. Stadterneuerung steht damit vor der Aufgabe mit einer nahezu unübersichtlich erscheinenden ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Diversität in einem Quartier angemessen umzugehen. Damit Diversität eine zur Chance für die Stadterneuerung werden kann, darf sie aber nicht ignoriert, sondern aktiv genutzt werden. Hierzu fehlt es bislang an Antworten.
Alles in allem kann soziale Mischung als Ideal aufrechterhalten werden, allerdings sollten die Erwartungen an sie nicht überhöht werden und die zunehmende ethnische Mischung berücksichtig werden. Dafür braucht es Antworten vonseiten der Stadtentwicklung. Neben dem räumlichen Nebeneinander ist eine Förderung des Miteinanders notwendig. Hier kann bereits aus den zahlreichen Erfahrungen aus Stadterneuerungsprogrammen, wie z.B. „Soziale Stadt“, profitiert werden. Zugleich sollten auch Überlegungen zu einer Desegregationsstrategie in der Stadtentwicklung konkretisiert werden, da sich unsere Städte zunehmend sozial Polarisieren.
Literatur:
Nast, J., & Blokland, T. (2013). Social Mix Revisited: Neighbourhood Institutions as Setting for Boundary Work and Social Capital. Sociology, 48(3), 482–499.
Weiterführende Arbeiten zu sozialer Mischung
Friedrichs, J. (2010). Welche soziale Mischung in Wohngebieten? In A. Harth & G. Scheller (Hrsg.), Soziologie in der Stadt-und Freiraumplanung (S. 319–334). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Gans, H. J. (1961). The Balanced Community: Homogeneity or Heterogeneity in Residential Areas? Journal of the American Institute of Planners, 27(3), 176–184.
Spiegel, E. (2001). Soziale Stabilisierung durch soziale Mischung. Forum Wohnen, 2 (4), S.75-80.
No Comments