Sprachlandschaft Stadt

Sprachlandschaft Stadt

Wer die Straßen in Stadtteilen mit einem überdurchschnittlichen Anteil von Zuwanderern durchquert, sieht, neben den Menschen selber, auch andere visuelle Zeichen die zeigen, dass es sich um einen migrationsgeprägten Ort handelt. Die Buchstaben auf Ladenschildern sind in kyrillischer oder arabischer Schrift geschrieben, Werbeanzeigen sind in Sprachen verfasst, die in der Mehrheitsgesellschaft nicht flächendeckend beherrscht werden oder Produkte werden in möglichst authentischer Werbesprache angeboten. Kurzum, die visuell-schriftliche Komposition des Quartiers gibt einen Hinweis darauf, dass sich dort vermehrt Menschen aufhalten, die einen Migrationshintergrund haben. Zugleich ist es ein Indiz dafür, dass es sich bei Stadtteilen in denen vermehrt fremdsprachliche Schilder zu finden sind, um Ankunftsgebiet handelt. Allerdings muss das nicht sein, wie ethnical theme parks wie China Towns z.B. in den USA nahelegen (Bukow 2015).

In der Linguistik wird die visuelle Mehrsprachigkeit seit den 1990er Jahren unter dem Begriff Linguistic Landscapes diskutiert. Dabei wird die schriftliche „Sprachlandschaft“ eines Ortes beschrieben und analysiert. Darunter kann die Komposition von Schildern in einem Gebiet, wie ein Stadtteil, verstanden werden. Für die Wahrnehmung von Linguistic Landscapes ist anzunehmen, sollte in einem Stadtteil viele Schilder in italienischer Sprache zu sehen sein, dass wahrscheinlich auch der Stadtteil als italienisch beschrieben wird. Gleiches gilt für die Aussagekraft eines Schildes. Wenn der Schilderwald Verbote anzeigt, dann wird es als ein reguliertes oder gar überwachtes Quartier empfunden.

Für die soziologische Stadt- und Migrationsforschung ist auch das Verhältnis von Sprechern und ansässiger Bevölkerung von Interesse. Oder anders gesagt: Welche Sprachgruppe zeigt sich durch Schriftlichkeit besonders? Aber auch Themen wie Gentrification können durch die Analyse der Zusammensetzung der Schilder, ihrer Gestaltung und Adressaten untersucht werden (Papen 2012). Damit kann der herkömmlichen Kritik, dass Daten über diejenigen die in einem Stadtteil wohnen nichts über die Nutzung und Bedeutung des Ortes aussagen, entsprochen werden und trotzdem ortsgebundene Daten erhoben werden.

Neben den theoretischen Vorteilen der Betrachtung von Schildern für die Segregationsforschung erscheint es mir besonders gewinnbringend, die analytische Betrachtung nach Nutzergruppen, also wer solche Schilder aufhängt und Raumkonsumenten, also wer sich an solch mehrsprachigen Orten aufhält, einzubeziehen. Hinzu kommt die Betrachtung unterschiedlicher Funktionen, die visuelle Mehrsprachigkeit erfüllt, also wozu fremdsprachige Schilder ausgehängt werden. Kritisch zu sehen ist der hohe Aufwand, den die Erfassung aller Schilder in einem Stadtteil mit sich bringt. Dazu müssen alle Schilder oder eine Zufallsstichprobe an Schildern fotografiert und anschließend kodiert werden. Zum Teil bedarf es dazu weitreichendes Wissen über Sprachen. Wer kann schon sagen ob es sich um Arabisch aus Syrien oder Ägypten handelt? Zudem gibt es Sprachen von Gruppen ohne Nationalstaat, wie Kurden. Daher kann nicht von einem klaren Verhältnis zwischen Sprachen und Ausländergruppen ausgegangen werden.

Alles in allem kann die Einbeziehung der visuellen Landschaft eines Stadtteils jedoch zu einem besseren Verständnis über die Rolle des Ortes führen. Zudem verrät sie uns etwas über die Prägung des Quartiers im Sinne visuell erfahrbarer Gruppen. Für die Stadt- und Migrationsforschung können dadurch Raumnutzungen und Identifikation mit dem Ort und Beziehungen zwischen Gruppen beschrieben werden.

Literatur

Bukow, W.-D., 2015. “Ethnische Segregation.” In A. El-Mafaalani, S. Kurtenbach, & K. P. Strohmeier, eds. Auf die Adresse kommt es an. Segregierte Stadtteile als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen. Weinheim und München: Beltz Juventa, Im Druck

Papen, U., 2012. Commercial discourses , gentrification and citizens ’ protest: The linguistic landscape of Prenzlauer Berg , Berlin. Journal of Sociolinguistics, 16(1), S.56–80.

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