Ankunftsgebiete

Ankunftsgebiete

Schon seit meiner Masterarbeit an der Ruhr-Universität Bochum widme ich mich unter anderem der Frage, wieso in manche Gebiete mehr zugewandert wird, als in andere. Oftmals ist zu hören, dass Zuwanderer dorthin gehen würden, wo andere Migranten ebenfalls wohnen – Gleich und Gleich gesellt sich gern. So einfach ist jedoch nicht, wenn wir berücksichtigen, dass es auch Stadtteile gibt die relativ wenig Fluktuation verzeichnen und trotzdem eine relativ großen Anteils von Menschen mit Zuwanderungsvorgeschichte aufweisen. Bei einem Blick in die sozialwissenschaftliche Literatur findet sich in einem der Klassiker der Stadtsoziologe, „The City – Suggestions for Investigation of Human Behavior in the urban Enviroment“ von Burgess aus dem Jahr 1925, das Modell des idealtypischen Aufbaus von Städten. Wenn auch dieses Modell mittlerweile nicht mehr aktuell ist, findet sich jedoch mit der „zone in tranistion“ ein interessantes und auffällig aktuelles Thema. Dorthin wird überdurchschnittlich oft zugewandert. Bereits vor rund 100 Jahren wurden Ankunftsgebiete also erkannt. Aber was macht ein Stadtteil zu einem Ankunftsgebiet? In diesem Beitrag möchte ich mich dieser Frage nähern. Meines Erachtens haben Ankunftsgebiete fünf typische Merkmale. Zum einen sind es Gebiete, die bereits eine örtliche Migrationsgeschichte haben und relativ arm sind. Dadurch ist die lokale Bevölkerung zum einen migrations- und integrationserfahren, zum anderen fällt der relativ geringe Lebensstandard nicht so auf. Nicht selten bilden sind Ankunftsgebiete innenstadtnahe Altbaugebiete mit angrenzenden und oftmals aufgegeben Industrieflächen. Die Dortmunder Nordstadt ist so ein Beispiel dafür. In jüngster Zeit sind solche Gebiete in einigen Städten durchaus Gentriefzierungstendenzen unterworfen, was einen Wandel vom Ankunftsgebiet zu einem mittelschichtsgeprägten Wohngebiet bewirken kann.

Ein zweites Merkmal ist die konstant hohe Fluktuation. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen. Einige schaffen einen sozialen Aufstieg und ziehen weg, andere wiederum gehen zurück in ihre Herkunftsregion oder ziehen einfach weiter ohne eine Statusveränderung zu erreichen. Besonders positiv ist es, wenn ein sozialer Aufstieg im Quartier erreicht wird, der sich oftmals durch selektive Fortzüge in einen anderen Stadtteil bemerkbar macht. Wir sollten aber auch darüber nachdenken, wie wir Aufsteiger in solchen Gebieten halten können.

Ein drittes Merkmal sind bereits länger ansässige Migrant:innen, die sogenannte Sockelbevölkerung. Diese können selber als eine Art Brückenkopf in die alte Heimat fungieren und Neuankömmlingen das Ankommen aktiv erleichtern, beispielsweise durch die Bereitstellung eines Schlafplatzes und der Vermittlung von Arbeitsmöglichkeiten. Aber auch durch die Weitergabe lebensweltlichen Know-hows durch geringe Sprachbarrieren durch ansonsten fremde Neuankömmlinge kann diese unterstützend wirken.

Ein viertes Merkmal sind die vorhandenen migrationssensiblen Opportunitäten. Dienstleister für internationalen Geldtransfer ohne obligatorisches Konto, Anbieter für Pre-Paid-Handykarten zum vergünstigten transnationalen Telefonieren oder Internetcafés sind gute Indikatorgeschäfte. Dort können ebensolche Waren und Leistungen nachgefragt werden, die insbesondere Neuhinzugezogene aus anderen Ländern benötigen.

Fünftens und abschließend sind die lokalen Arbeitsmöglichkeiten für Geringqualifizierte ohne ausreichende Kenntnisse der Sprache der Mehrheitsgesellschaft zu nennen. Dabei handelt es sich nicht immer um reguläre Jobs oder gar solche, die sozialversicherungspflichtig sind. Jedoch bieten sie eine Möglichkeit den Lebensunterhalt zu bestreiten, wenn auch schlecht und oftmals in prekärer Lage, aber nicht selten mehr als in der Herkunftsregion möglich war. Die Berichte über Tagelöhner aus Rumänien und Bulgarien in Städten wie Hamburg, Dortmund oder Mannheim illustrieren dieses Merkmal auf traurige Weise.

Doch wieso ist es wichtig, sich mit Ankunftsgebieten auseinanderzusetzen? Zwei Gründe sprechen dafür: Ankunftsgebiete sind heute mehr als „nur“ die Integrationsmaschine unserer Städte, sie sind auch die Kinderstube. In den armutsgeprägten Quartieren wächst ein erheblicher Anteil der nachkommenden Generation in unseren Städten auf. Nicht nur dort, sondern auch in anderen sozial segregierten Wohngebieten. Ein zweiter Aspekt ist die Notwendigkeit Migration möglichst gut und erfolgsversprechend zu organisieren. Denn wie spätestens Keyfitz in seinem Aufsatz „Do Cities Grow by natural Increase or by Migration?“ von 1980 gezeigt hat, wachsen Städte durch Migration und nicht durch Geburtenüberschuss. Ankunftsgebiete brauchen also Unterstützung, doch zuvor auch Akzeptanz. Klar ist es wichtig keine verfestigten Armutsinseln zuzulassen, die benachteiligende Wirkungen auf ihre Bewohner entfalten können. Doch das ist in Ankunftsgebieten mit ihrer hohen Fluktuation ohnehin kaum der Fall. Die Akzeptanz dafür, dass eine Einwanderungsgesellschaft auch Einwanderungsstadtteile braucht, ist eine Grundlage um Neuzuwanderern einen möglichst guten Beginn in ihrem neuen Zuhause zu ermöglichen. Programme die eine bislang konzeptlose soziale Mischung herstellen wollen, nur um ihrer selbst willen, wirken dabei eher unreflektiert. Programme wie Soziale Stadt oder Stadtumbau sind bewährte Instrumente der Städtebauförderung, doch wenn sie Fluktuation und als bedrohlich empfundene ethnische Segregation abbauen wollen, ohne alternative Ankunftsorte zu ermöglichen, dann werden Ankunftsgebiete als wichtiger Teil unserer Städte in ihrer Funktion nicht anerkannt. Bislang haben solche Quartiere gut funktioniert und das eher trotz und nicht wegen überlokaler quartierspolitischer Projekte.

Siehe auch:

Saunders, Doug. 2011. Arrival City. München: Karl Blessing Verlag.

Kurtenbach, Sebastian. 2013. Neuzuwanderer in städtischen Ankunftsgebieten. Opportunitätsstrukturen und Nutzung des öffentlichen Raums durch Neuzuwanderergruppen in Ankunftsgebieten am Beispiel der rumänischen und bulgarischen Zuwanderer in der Dortmunder Nordstadt. Bochum: Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR). Download

Staubach, Rainer. 2013. Armutszuwanderung aus Südosteuropa : Ansatzpunkte zur Förderung von Diversität in „Ankunftsstadtteilen“. Erkundungen in der Dortmunder Nordstadt. vhw 5: 254–260. Download

No Comments

Post A Comment