RADIKALISIERUNG und Raum

RADIKALISIERUNG und Raum

Bei der Durchsicht des Forschungsstandes zu Radikalisierung, verstanden als Prozess an dessen Ende religiöse oder ideologische Rechtfertigungen für abweichendes Verhalten stehen, fällt auf, dass es bislang kaum Studien zu Raum und Radikalisierung gibt. Kaum behandelt sind also Fragen wo und vor allem warum es mancherorts häufiger zu Radikalisierung kommt als an anderen Orten. Im Projekt „Radikalisierende Räume“ untersuchen wir an der FH Münster und dem IKG der Universität Bielefeld diese Zusammenhänge. Im Folgenden möchte ich einige Grundgedanken zum Zusammenhang zwischen Radikalisierung und Raum formulieren. Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter www.radikalisierende-raume.de.

Bekannt ist mittlerweile, dass es kein Zufall ist wer sich radikalisiert, denn es gibt Muster und Ursachen von Radikalisierung. Zumeist liegt, zumindest zeitweise, eine Offenheit für extremistisches Gedankengut vor und wenn man dann mit einer extremistischen Ideologie in Kontakt kommt, steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Radikalisierungsprozess. Das wird als Anfälligkeit oder als kognitive Öffnung bezeichnet. Bei der räumlichen Betrachtung von Radikalisierung wird davon ausgegangen, dass es dann auch kein Zufall ist, wo Radikalisierung stattfindet. Denn aus der Erforschung von Kontexteffekten wissen wir, dass der Raum, wie beispielsweise das eigene Wohngebiet, einen Effekt auf die eigenen Lebenschancen hat. Selbstverständlich gibt es hier Unterschiede zwischen Gruppen, wie Kindern, für die ihr Stadtteil häufig wichtiger ist als für international reisende Managerinnen. Wenn der Raum aber einen Effekt darauf hat, was Menschen als normal ansehen oder auch ob sie sich bedroht oder diskriminiert fühlen, dann dürfte dadurch die Offenheit für extremistisches Gedankengut zumindest gefördert oder limitiert werden. Konkret bedeutet das, dass wenn ein Stadtteil benachteiligend wirkt, diese Benachteiligung als Ungerecht empfunden wird und man dadurch Mittel sucht, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Dabei können extremistische Ideologien ein Weg sein, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. 

Damit sind drei Ebenen angesprochen. Erstens die räumliche Ebene, wie ein Stadtteil, welche spezifische Konstellationen mit sich bringt, wie Armut oder auch wahrgenommene kollektive Normen. Zweitens die Ebene der Opportunitäten, wie die lokale Angebotslandschaft aber auch Organisationen von Extremisten, welche für die ortsansässige Bevölkerung Teil des Alltags wird. Drittens die individuelle Ebene und hier vor allem die Anfälligkeit, welche Radikalisierungsprozesse begünstigt. Wenn Raum und Radikalisierung dann zusammenhängend betrachtet werden, müsste der Raum, also die lokale Sozialstruktur und die lokalen Normen, die Etablierung extremistischer Gruppierungen mitsamt von Organisationen, aber auch die Anfälligkeit für Radikalisierung auf der Individualebene begünstigen. Folglich würde der Raum einen Beitrag zur Herstellung eines Radikalisierungsrisikos leisten, dabei aber nur einen Teil der Erklärung von Radikalisierung bzw. der Anfälligkeit für Radikalisierung liefern. Ob dem so ist und wie die genauen Bezüge sind, werden wir bis Ende 2024 im Projekt „Radikalisierende Räume“ untersuchen.

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