21 Mai Wo die AfD erfolgreich ist: Eine Spurensuche
Seit September 2017 sitzt die noch relativ junge Partei, Alternative für Deutschland (AfD), in Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag. Viel diskutiert sind ihre rechtspopulistischen Äußerungen, welche häufig von fremdenfeindlichen Argumenten oder Behauptungen geprägt sind. Getragen ist ihr Erfolg durch die Skepsis gegenüber der Aufnahme Geflüchteter und dem Euro. Um aber 12,6 % der Zweitstimmen bei einer Bundestagswahl, welche eine relativ hohe Wahlbeteiligung hatte, zu erreichen, muss sie in der Fläche erfolgreich sein und nicht allein in einigen wenigen Hochburgen. In diesem Beitrag möchte ich, basierend auf empirischem Material aus zwei Feldforschungen zu zwei sehr unterschiedlichen Orten, auf eine Spurensuche gehen, wie diese Wirkung in der Fläche zu erreichen war.
Zwei Punkte zuerst: Um den Erfolg der AfD besser zu verstehen, braucht es erstens ein Verständnis davon, was Rechtspopulismus genau ist, denn offenbar ist gerade dieser erfolgreich. Bislang liegt aber keine allgemeine Definition dazu vor, sondern es werden eher Merkmale zusammengetragen, um eine Partei, eine/n Politiker*in oder ein Argument als (rechts-)populistisch zu klassifizieren. Dekker und Lewandowsky (2017: 29-30) nennen hierfür den „Rückgriff auf common-sense Argumente“, „Vorliebe für radikale Lösungen“, „Verschwörungstheorien und Denken in Feindbilder“, „Provokation und Tabubruch“, „Emotionalisierung und Angstmache“ sowie „Verwendung von biologistischen und Gewaltmetaphern“. Seine Attribution als rechts gewinnt Populismus durch eine nationalistisch-exklusive Argumentation sowie der Forderung nach Law-and-Order Politik. Zweitens weisen demografische Merkmale der AfD-Wähler*innen darauf hin, dass Menschen zwischen 25 und 44 Jahre sowie Männer relativ stark vertreten sind. Weder bei Berufsgruppen noch bei Bildungsabschlüssen findet sich ein eindeutiges Muster (Niedermeyer/Hofrichter 2016; Pfahl-Traughber 2017). Das ist als Hinweis darauf zu werten, dass weite Teile der Bevölkerung potenziell angesprochen werden, wobei dies weniger für Frauen als für Männer gilt, und die Präferenz für einen autoritären Nationalismus kein gruppenspezifisches Phänomen mehr ist.
Was aber macht die AfD in einigen Kommunen so erfolgreich? Bislang liegen hierfür eher Beschreibungen als systematische Erklärungsansätze vor. Um hierfür einen Ansatzpunkt zu formulieren, ziehe ich Daten aus zwei Feldforschungen heran, welche jeweils andere Forschungsfragen verfolgten, aber beide an Orten stattfanden, an denen die AfD ein überdurchschnittliches Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2017 einfuhr. Zum einen Daten einer dreimonatigen Erhebung in Köln-Chorweiler (Mitte) aus dem Jahr 2014 und zum anderen aus einer zweimonatigen Erhebung im ostsächsischen Bautzen aus dem Jahr 2017.
Westdeutsche Großsiedlung: Köln-Chorweiler (Mitte)
Gebaut wurde Chorweiler (Mitte) in den späten 1960er bzw. fertiggestellt in den frühen 1970er Jahren. Chorweiler (Mitte) hatte zum 31.12.2013 13.070 Einwohner*innen und die städtebauliche Gestaltung ist geprägt von Hochhäusern mit bis zu 23 Etagen, welche in Teilen augenscheinlich in einem baulich schlechten Zustand sind. Die SGB II Quote (30.9.2013) und der Ausländeranteil 57,7% (31.12.2013) sind jeweils weit über den gesamtstädtischen Werten. Das Besondere an den Daten ist, dass es eine Skizzierung der Situation zulässt, die kurz vor, bzw. zu Beginn des verstärkten Zuzugs Geflüchteter zu beobachten war.
Erstens ist eine empfundene Distanz zwischen politischen Vertreter*innen und lokaler Bevölkerung zu erkennen. Am 07.09.2014 fuhr auf dem zentralen Pariser Platz eine linksradikale leninistische Gruppe mit einem Militärfahrzeug auf und hielt eine als spontane Demonstration inszenierte Veranstaltung ab, in der die Globalisierung sowie politische Eliten angeprangert wurden. Die martialische Inszenierung führte zu viel Aufmerksamkeit auf dem Platz, und die Menschen ließen sich offenbar durch das entschlossene Auftreten beeindrucken. Es wurde „als etwas anderes“ gesehen, einer Art von Politikkommunikation, welche sie unmittelbar erreichte. Die Gespräche, die ich am Rande der Demonstration führte, gaben zu verstehen, dass zwar der Botschaft einer internationalen Solidargemeinschaft der Arbeiterklasse nicht gefolgt wurde, aber die Aggressivität des Auftretens wurde durchaus positiv gesehen. Das spricht für eine relative Offenheit der lokalen Bevölkerung für radikale und vereinfachende Ansprachen. Zudem wurde besonders die Distanz zu politischen Repräsentant*innen deutlich, die nur in Einzelfällen, wie des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bezirksrat, durchbrochen wird, was auch in Expert*inneninterviews deutlich wird. Ein Landtagsabgeordneter stellte der Politik in Chorweiler ein sehr positives Zeugnis aus, was ehrenamtliche Bezirkspolitiker*innen und Bewohner*innen nicht taten. Sie fühlten sich vom Stadtrat sowie der Landes- und Bundespolitik eher ignoriert und übergangen, auch weil beispielsweise kein Stadtrat in Chorweiler (Mitte) wohnte. Ein Bezirkspolitiker gab an, dass seine Partei in Chorweiler keinen Wahlkampf mache, weil die Menschen ohnehin nicht wählen gehen würden oder eben eine andere Partei. Da Parteien vor allem ehrenamtlich getragen werden und es immer weniger aktive Mitglieder gibt, sei dies ein zu großer Aufwand für zu geringe Erfolgsaussichten.
Zweitens wurden bereits ein Unbehagen und eine empfundene Machtlosigkeit wegen der sich abzeichnenden Unterbringung Geflüchteter deutlich. Am 30.10.2014 gab es eine Demonstration von etwa 20 Bewohner*innen, vor allem aus dem naheliegenden Stadtteil Blumenberg, vor dem Bezirksrathaus Chorweiler. Da keine Banner oder Ähnliches zu sehen waren und die Menschen auf Einlass zur Sitzung des Bezirksrates warteten, sprach ich eine Dame an und fragte nach dem Grund der Ansammlung. Sie erzählte aufgebracht und sehr eindringlich, dass eine Unterkunft für Geflüchtete in der Nähe ihres Hauses eröffnet werden solle. Sie habe Angst davor, dass ihre Häuser ihren Wert verlieren würden und vor allem junge muslimische Männer in ihre Nachbarschaft ziehen würden. Dabei bekam sie Zuspruch von den nahestehenden Mitdemonstranten. Entscheidend ist hier, dass die Menschen ihre Sorgen zwar klar artikulierten, die öffentlichen Stellen zu diesem Zeitpunkt aber nicht auf einen verstärkten Zuzug Geflüchteter vorbereitet waren. Ende 2014 wurde dann auch in Chorweiler (Mitte), begleitet von Protesten von Bezirkspolitiker*innen, eine Zeltstadt für Geflüchtete in Chorweiler (Mitte) eröffnet. Antworten oder klare Vorstellungen, wie die Herausforderungen der Flüchtlingszuwanderung umgegangen werden kann, blieben aus. Der Staat präsentierte sich überfordert und schwach. In den Interviews mit den Menschen in Chorweiler finden sich hingegen nur wenige Aussagen zu Geflüchteten. Wenn überhaupt wurde resigniert, da man ja ohnehin nichts machen könne und es „mal wieder“ Chorweiler treffen würde, bis neutral auf die Unterbringung Geflüchteter reagiert, was auch eine Politikverdrossenheit ausdrückt. Zu interpretieren ist dies dahingehend, dass diejenigen die ohnehin resigniert haben sich mehr über die Zuwanderung Geflüchteter echauffierten, da sie mit der Gestaltung des Alltags ausgelastet waren und ihnen kaum etwas blieb, was man ihnen wegnehmen könnte. Sie hatten keine Häuser, deren Wert fallen könnte oder die Aussicht auf Jobs, die man nicht mehr bekommen könnte.
Diese beiden Aspekte, das Systemmistrauen in Form von Distanz zwischen Repräsentant*innen und Bevölkerung und das Unbehagen und empfundene Machtlosigkeit wegen der sich abzeichnenden Fluchtzuwanderung, zeigen sich in den Daten zu Köln-Chorweiler (Mitte). Sie stimmen mit den Überlegungen des vor allem politikwissenschaftlichen Forschungsstandes überein, eröffnen aber eine lebensweltliche Perspektive. Dabei handelt es sich aber um ein Milieu, was armutsgeprägt und zugleich an ethnische Diversität gewöhnt ist. Es sind viel mehr die Wahrnehmung, dass ihre Interessen nicht gehört oder umgesetzt werden und ihr Stadtteil „mal wieder“ unter Versäumnissen politischer Eliten zu leiden habe, ohne, dass es dafür eine (direkt erfahrbare) Kompensation geben würde, und bezieht sich nicht auf die Gruppe der Geflüchteten.
Ostdeutsche Mittelstadt: Bautzen
Bei Bautzen handelt es sich nahezu um das Gegenteil von Chorweiler. Es ist eine ostdeutsche Mittelstadt mit relativ geringer Arbeitslosigkeit und geringem Ausländeranteil. Doch auch dort gibt es durch die Nähe zur polnischen und tschechischen Grenze sowie mit der Ansässigkeit der Obersorben Erfahrungen mit Diversität, allerdings auf einem wesentlich geringeren Niveau und nicht hinsichtlich religiöser Prägungen. Den Aussagen zu Bautzen liegen Daten aus einer ethnografischen Erhebung sowie 112 leitfadengestützte Interviews zugrunde. Der Zeitpunkt der Erhebung deckt den Vorabend der Bundestagswahl 2017 ab, bei dem die AfD im Wahlkreis Bautzen I 32,8 Prozent der Zweitstimmen auf sich vereinen konnte und auch das Direktmandat holte.
Hier ergibt sich ein kohärentes Bild. Der hastig und unvorbereitet organisierte Zuzug Geflüchteter hat zu einem Irritationsmoment geführt, das als Schwäche des Staates, von weiten Teilen der Bevölkerung als Kontrollverlust (was er nicht war, da alle Geflüchteten mindestens einmal registriert wurden, was nötig war, um überhaupt untergebracht zu werden), empfunden wurde (IDA 2015: 7). Ähnlich wie in Chorweiler wurde dies sehr negativ gesehen, führte bei einigen Bewohner*innen zwar auf der einen Seite zu einem erhöhten Engagement für Geflüchtete, auf der anderen Seite aber auch zu massiven Protesten gegen die Unterbringung, beispielsweise im ehemaligen Spreehotel.
Beides sind als Reaktionen auf einen sich rapide verändernden Sozialraum zu deuten. Vertreter*innen öffentlicher Institutionen waren nicht in der Lage diesen sich eröffnenden Diskursraum mit ihren Argumenten zu schließen, da sie keine konkreten Lösungen anbieten konnten und der Oberbürgermeister und der Landrat eher damit gefordert waren, die Unterbringung zu organisieren und damit eine Amtspflicht zu erfüllen, die von weiten Teilen der Bevölkerung zumindest kritisch gesehen wurde. Auch die Parlamentarier aus Bautzen konnten nicht überzeugen, da sie, selbst wenn sie sich ebenso kritisch äußerten, nur ihren fehlenden Einfluss offenbarten. Jene Zeitspanne haben vor allem Rechtspopulisten, aber auch neurechte und rechtsextreme Organisationen, in Bautzen genutzt und zahlreiche Veranstaltungen und Demonstrationen organisiert. Dies gipfelte in Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Geflüchteten auf dem zentralen Kornmarkt im September 2016. Die Vorfälle wurden vor Ort nur sehr zurückhaltend als fremdenfeindliche Übergriffe benannt. Stattdessen wurden die Gründe in Alkohol oder dem jugendlichen Alter der Beteiligten gesucht. Das wiederum ist Ausdruck davon, dass es offenbar zu einer Normalitätsverschiebung gekommen ist. Eine solche hat zur Folge, dass fremdenfeindliche Übergriffe entpolitisiert und als normal bis legitim angesehen werden, was sich auch in den qualitativen Interviews mit Bewohner*innen der Stadt zeigt.
Abdrücke der Erfolgsspur
Obwohl Chorweiler und Bautzen sehr unterschiedliche Voraussetzungen mit sich bringen, sind Gemeinsamkeiten für die Erklärung des überdurchschnittlichen Zuspruchs zu rechtspopulistischen Parteien zu finden. In beiden Kontexten war der Umgang des Staates mit dem Zuzug Geflüchteter ein Irritationsmoment, das in Bautzen von Rechtspopulisten aber wesentlich stärker genutzt wurde, was eine Normalitätsverschiebung zur Folge hatte. Weiterhin ist eine hohe empfundene soziale Distanz zwischen demokratischen Eliten und Bevölkerung festzustellen, was Diskursräume offenlässt, die durch Rechtspopulist*innen offenbar genutzt werden können. Trotz dieser Gemeinsamkeiten ist das Gewaltpotenzial im Alltag in Bautzen für spezifische Gruppen, wie Geflüchtete, erhöht. Gleiches war in Chorweiler nicht zu erkennen und ist auch nicht zu erwarten, auch aufgrund der hohen ethnischen Diversität der Bevölkerung. Wenn auch die Wege zur Wahlentscheidung demnach Ähnlichkeiten aufweisen, muss die Wirkung rechtspopulistischer Botschaften im jeweiligen räumlichen Kontext interpretiert werden. In großstädtischen Armutsquartieren, wie Chorweiler, ist die Wahl der AfD im Alltag eher folgenlos und es steht mehr der kurzfristige Effekt, im Sinne eines Denkzettels für „die da oben“ im Vordergrund. Eine solche kurzfristige Orientierung wird als typisch für Milieus in sozial prekären Lebenslagen beschreiben (El-Mafaalani/Strohmeier 2015). In ostdeutschen Mittelstädten wiederum können die ausschließenden Botschaften gegenüber Geflüchteten zur Legitimation von Gewalt gegen diese beitragen und erzeugen zumindest eine künstliche Statushierarchie zwischen Geflüchteten und Deutschen.
Während im Forschungsstand in Bezug auf die Wahlentscheidung zur rechtspopulistischen AfD die Skepsis gegenüber Fremden und der Globalisierung sowie der Furcht vor Herabsetzung im Vordergrund standen, zeigen die empirischen Ergebnisse aus den Feldforschungen eher, dass Menschen dem repräsentativen demokratischen System misstrauen und sich in ihrer eigenen Position als machtlos erleben. Vor diesem Hintergrund werden Wege der Selbstermächtigung, wie die Etablierung einer vermeintlichen kulturellen Hierarchie, gesucht, welche rechtspopulistische Parteien versprechen. Damit zeigt sich, dass neben den Untersuchungen zu Einstellungen und Motiven, die zur Wahl rechtspopulistischer Parteien führen, oder der Analyse rechtspopulistischer Argumentationsformen auch räumliche Kontexte des Rechtspopulismus aus einer lebensweltlichen Perspektive untersucht werden müssen.
Allerdings wissen wir noch zu wenig über räumliche Muster des Rechtspopulismus, insbesondere was die Entwicklung von Räumen angeht. Zudem sollten kleinräumig ausgerichtete Projekte der Demokratieförderung hinsichtlich ihrer Wirkung auf Rechtspopulismus untersucht werden. Alles in allem zeigt sich, dass Rechtspopulismus nicht ein Phänomen ist, welches auf Kommentarspalten bei Facebook, Wahlkampfreden oder Parteiprogramme beschränkt ist, sondern Implikationen und Wirkungen auch im Alltag von Menschen, d.h. in ihren Nachbarschaften, hat. Um die Folgen des Rechtspopulismus für den gesellschaftlichen Zusammenhalt besser zu verstehen, bedarf es der systematischen Einbeziehung ebendieser Perspektive.
Bei dem Beitrag handelt es sich um eine angepasste Fassung des Debattenbeitrags in:
Zick/Berg (2020). populär – extrem – normal. Bonn: Dietz-Verlag.
Publikation zu Chorweiler
Kurtenbach, Sebastian (2017). Leben in herausfordernden Wohngebieten. Das Beispiel Köln-Chorweiler. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Publikation zu Bautzen
Kurtenbach, Sebastian (2018). Ausgrenzung Geflüchteter. Eine empirische Untersuchung am Beispiel Bautzen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Literatur
Dekker, F. & Lewandowsky, M. (2017). Rechtspopulismus in Europa: Erscheinungsformen, Ursachen und Gegenstrategien. Zeitschrift für Politikwissenschaften 64 (1). 21-38.
El-Mafaalani, A. & Strohmeier, K.P. (2015). Segregation und Lebenswelt Die räumliche Dimension sozialer Ungleichheit. In El-Mafaalani, Aladin/ Kurtenbach, Sebastian/ Strohmeier, Klaus Peter (Hg.), Auf die Adresse kommt es an. Segregierte Stadtteile als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen, Weinheim und München: Beltz Juventa Verlag, 18–42.
Niedermayer, O., & Hofrichter, J. (2016). Die Wählerschaft der AfD: Wer ist sie, woher kommt sie und wie weit rechts steht sie? Zeitschrift für Parlamentsfragen, 47(2), 267–285.
Pfahl-Traughber, Armin (2017). Wer wählt warum die AfD? Eine Analyse der Daten zu den Landtagswahlen 2017; http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/248916/wer-waehlt-warum-die-afd; Zuletzt gesehen: 20.02.2020
No Comments