Die Menschen prägen den Ort

Die Menschen prägen den Ort

Ein Außenstehender, der die Bilder unseres Stadtrundgangs in Stolipinovo sieht, könnte ohne weiteres auf die Idee kommen, diese seien in einem indischen Slum entstanden. Doch diese Bilder und die Personen dahinter erzählen immer eine Geschichte. Leider erschließt sich diese nur für jene, die selbst anwesend waren. Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, die Geschichte hinter diesen Bildern zu erzählen.

Alles beginnt mit einer Stadttour von Achmed, unser Kontakt vor Ort. Er führt Mirza, Diana, Sebastian und mich durch die verschiedenen Teile von Stolipinovo. Schließlich breitete sich vor uns eine Grasfläche, umgeben von den großen, kalten Betonblöcken aus. Achmed schlägt uns vor, etwas trinken zu gehen. Was ich für eine Art verrosteten, smaragdgrünen Container gehalten habe, solche, die man auf Müllkippen vorfindet, stellte sich tatsächlich als ein von Menschen bewirtetes Café heraus. Beim Eintreten fiel auf, dass alles sehr provisorisch zusammengewürfelt war. Ein paar Tische standen links von uns, rechts befand sich ein Tresen. In der Mitte prasselte ein Feuer im Kamin. Nur eine Handvoll Männer waren anwesend. Beim Platz nehmen, zogen wir schon direkt die Aufmerksamkeit auf uns. Natürlich ist das keine Überraschung. Zum einen bringen wir, neben der bereits anwesenden Wirtin, die einzigen Frauen mit und zum anderen verirrt sich so schnell kein Tourist nach Stolipinovo. Dafür sorgen u.a.  Taxifahrer, die sich mit ihren gruseligen Geschichten und Vorurteilen ständig neu übertrumpfen. Nach kurzer Zeit kommen immer mehr junge Männer an unseren Tisch. Sie scherzen mit uns, wollten über Deutschland und uns etwas erfahren und wissen, warum wir hier sind. Mirza und Achmed hatten alle Hände voll zu tun, das Knäuel an Gesprächssträngen für uns verständlich zu machen. Nachdem uns vom Barkeeper Kaffee angeboten wurde, bestellte ich einen Rakı. Für mich zu diesen Zeitpunkt noch völlig unverständlich, waren die anwesenden Männer darüber doch sichtlich erheitert. Mir wurde vom Besitzer auch noch ein Softdrink angeboten, den ich jedoch dankend ablehnte. Mit ein paar Brocken türkisch hier und ein bisschen französisch da, konnten wir uns irgendwie alle miteinander verständigen. Mirza und Achmed hatten in der Zwischenzeit vor der Flut an Fragen teilweise kapituliert. Die Männer berichteten von ihren Erfahrungen aus dem Ausland. Viele waren bereits in Deutschland oder einem anderen Land der EU gewesen. Einige Male fragte mich ein Gast, ob ich ihm wohl einen Job in Deutschland besorgen könnte. Die Atmosphäre war sehr locker, doch konnte ich nicht umhin zu bemerken, dass der Ort sichtlich von Männern dominiert war.

  Diana erinnerte mich nach einiger Zeit wieder daran, dass wir ja eigentlich hier waren, um Interviewpartner zu finden. Die Interviews in Abdis NGO am Tag zuvor liefen alle zu reibungslos. Ohne großes Nachbohren, bekamen wir haufenweise Geschichten über Diskriminierungserfahrungen zu hören. Hier hatte ich das erste Mal das Gefühl, wirklich Feldforschung zu betreiben. Als ich den Barkeeper interviewte, merkte ich schon an seiner Körpersprache, dass ihm die Situation sehr befremdlich vorkam. Auf meine Frage, ob er denn Diskriminierungserfahrungen gemacht habe, antwortete er einfach mit „nein“. Ich war zugegebenermaßen im ersten Augenblick enttäuscht, da ich mir eigentlich erhofft hatte, hier umfangreiche Berichte zu diesem Thema zu hören. Er war allerdings auch ethnischer Bulgare, was es zu berücksichtigen gilt. Auch die restlichen Antworten blieben oft einsilbig, sodass ich schon nach kürzester Zeit keine Fragen mehr hatte.

Danach kehrten wir zu den anderen an den Tisch zurück und mir wurde wieder etwas zu trinken  angeboten. Mirza erinnerte uns jedoch daran, dass wir noch einiges von den anderen Mahallas (Nachbarschaften) sehen wollten. Somit verabschiedeten wir uns mit zahlreichen Umarmungen und Händeschütteln. Zum Abschluss schenkte mir der Besitzer sogar noch eine Flasche aus seinem persönlichen Repertoire. Menschen, die selber kaum nennenswerten Besitz haben, Fremden Geschenke machen, sagt das viel über ihre Mentalität aus

Das Ausmaß an Herzlichkeit, Interesse und gegenseitiger Wertschätzung, welches uns dort zuteil wurde, lässt sich in einem Bericht wie diesen nur schwer einfangen. Ich möchte klar stellen, dass ich mitnichten die prekäre Situation der Roma Minderheiten, welche gesellschaftlicher Exklusion, absoluter Armut und Diskriminierung ausgesetzt sind, damit verherrliche. Was ich hiermit allerdings hervorheben möchte, ist, dass Stolipinovo mehr als nur Müll und Abwasser ist. Es sind auch die Menschen, die den Ort prägen.

David Uekötter

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