Fußballszene Plovdiv

Fußballszene Plovdiv

Das ganze Stadtbild von Plovdiv ist gezeichnet von Spuren der bulgarischen (Ultra)Fan-Kultur. Die zahlreichen Graffitis und Aufkleber der verschiedenen Gruppen (Ultras & Hooligans) befinden sich häufig in direkter Nähe zu faschistischen Symbolen wie Hakenkreuzen, Huldigungen von Nazi-Kollaborateuren wie u.a. General Christo Lukow, sarkastischen Aussagen wie „Refugees Welcome“ in Kombination mit bewaffneten SS-Soldaten oder Blood & Honour Schriftzügen und den üblichen Zahlenkombinationen 14, 18 und 88. Die meisten rassistisch und faschistisch motivierten Graffitis im Stadtbild wurden allerdings in irgendeiner Weise „gecrosst“ (was im Graffiti-Jargon das Zerstören eines fremden Graffiti-Bildes durch teilweises Übermalen, „Zutaggen“ oder Durchstreichen bezeichnet), was die allgemeine Verachtung für dieses Gedankengut deutlich macht. Es ist nicht klar ersichtlich, ob viele Personen hinter diesen politischen Parolen stehen oder es sich um eine kleine, aber sehr aktive Nazi-Subkultur handelt.

Besonders extrem fallen dabei die Fans von CSKA Sofia auf, die es auch in Plovdiv zahlreich gibt. Sie stehen der Anti-Antifa nahe und verwenden neben Hakenkreuzen auch den SS-Totenkopf auf ihren Stickern, die vornehmlich in der Altstadt und den zahlreichen Parks zu finden sind. Da CSKA der erfolgreichste Fußballclub Bulgariens ist, ist es nicht verwunderlich, dass auch in Plovdiv zahlreiche Menschen zu den Unterstützer*innen des Hauptstadtclubs zählen. Die Gruppe Torcida Plovdiv von 1999 sticht dabei besonders hervor. Auf der eigenen Webseite der Gruppe werden Hakenkreuz-, SS-Totenkopf- und Reichsadler-Tattoos sowie Fanschals mit SS-Runen präsentiert und aus der eigenen Gewaltbereitschaft kein Hehl gemacht.

Die beiden großen lokalen Clubs Lokomotive und Botev sind ebenfalls sehr sichtbar im Stadtbild, vor allem in der Nähe ihrer jeweiligen Stadien.

Die Hooligans der Lauta Army, die Napoletani Ultras und eine Gruppe namens „Gott Mit Uns“ (Leitspruch der deutschen Wehrmacht im 2ten Weltkrieg) unterstützen Lokomotive Plovdiv.

Im Stadion von Lokomotive macht der Frauenanteil weniger als geschätzte 5% aus. Die aktive Fanszene hinter dem Tor und an einer Seitengeraden besteht ausschließlich aus Männern zwischen 20 und 45 Jahren, die ein sehr homogenes und aggressives Bild vermitteln.

In der Vergangenheit sollen sich Hooligans von Lokomotive an antiziganistischen Ausschreitungen wie z.B. 2011 im nahe von Plovdiv gelegenen Katunitsa beteiligt haben, bei denen mehrere Häuser von Roma-Familien zerstört wurden. Es dürfte große Überschneidungen mit der lokalen Nazi-Subkultur geben. Unglaublich an diesem vehementen Antiziganismus ist vor allem die Tatsache, dass Lokomotive immer ein Club war, der sich großer Beliebtheit, im von Roma geprägten Stadtteil Stolipinovo, erfreut hat. In den 90er Jahren kamen noch regelmäßig mehrere tausend Fans aus Stolipinovo ins Stadion, was sich heute angesichts der entgegengebrachten Feindseligkeit niemand mehr traut.

Bei den antiziganistischen Ausschreitungen in Katunitsa waren Berichten zufolge auch gewalttätige Unterstützer des Lokalrivalen Botev vor Ort. Obwohl sich die Bultras von Botev nach außen unpolitisch geben, scheint es auch hier viele Verbindungen zur lokalen Naziszene zu geben. Die organsierten Fangruppierungen haben sich unter dem Namen Bultras vereinigt. Untergruppen wie Bunta Sever, Centrum Crew, und Brigada Trakia treten im Stadtbild nicht gesondert in Erscheinung. Im Stadion agitiert Centrum Crew Botev bisweilen mit antimuslimischen Bannern. Das Fanmilieu von Botev lässt sich in seiner Gesamtheit dennoch nicht so einfach politisch verorten, wie das beim Lokalrivalen Lokomotive der Fall ist. Es wird ein bulgarischer Nationalismus in der Tradition des Namensgebers Christo Botew gepflegt, der bulgarischer Dichter, Revolutionär und Anführer des Aprilaufstandes gewesen ist. Ein romantisierter Regionalpatriotismus wird gepflegt und nationalistisches Gedankengut im eigenen Liedgut und auf Fahnen präsentiert.

Selbst wenn offenkundig Botev Graffitis im Stadtbild in nächster Nähe zu Hakenkreuzen angetroffen werden können, lohnt es meist noch einmal genauer hinzusehen. Im Bild unten ist zwar ganz klar ein Botev Schriftzug rechts auszumachen, aber im Hakenkreuz ist die Buchstabenkombination LPFC zu erkennen, die klar in Richtung des Lokalrivalen Lokomotive weist.

Bei den Lokalderbys werden die Lokomotive-Fans von Botev-Anhängern mit „Zigani, Zigani!“ Sprechchören verunglimpft, was mit der einstmaligen Unterstützung der Lok-Fans aus Stolipinovo zusammenhängt. Diese Bezeichnung ist aus heutiger Sicht an Zynismus nicht zu überbieten.

Ein Spielbesuch in einem Fußballstadion der A-Futbolna-Grupa in Bulgarien sollte also in jedem Fall gut überdacht werden und ist immer mit einem Grundrisiko verbunden. Ohne einheimische Begleitung ist eine Teilnahme nicht zu empfehlen.

Helge Döring

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.