Das Gefühl von Diskriminierung

Das Gefühl von Diskriminierung

An unserem zweiten Tag in Stolipinovo starteten wir mit einem unglaublich bewegenden Interview. Vasil (fiktiver Name) ist ein sehr herzlicher und erfahrener Familienvater. Er ist 34 Jahre alt und hat an einigen Hilfsprojekten in Stolipinovo mitgearbeitet. Aufgewachsen ist er in einem anderen Vorort von Plowdiw, den er selbst als eine „bulgarische Nachbarschaft“ bezeichnet. Aufgrund seiner dunklen Haut wurde er schon zu dieser Zeit von anderen Kindern gehänselt. Nach einiger Zeit erkannte er aber, dass diese Kinder einfach noch nicht reif genug waren, um zu verstehen was sie tun und er akzeptierte es.

Als er daraufhin von seiner ersten Erfahrung mit „echtem Rassismus“ erzählt stockt uns allerdings der Atem. 30-40 Zentimeter Schnee lagen auf den Straßen und es wehte ein eisiger Wind als der 13-jährige Vasil an der Bushaltestelle steht und sehnsüchtig auf seinen warmen Schulbus wartet. Nach langem Warten sieht er freudig, dass der Bus auf ihn zukommt. Er stellt sich nach vorne an die Straße, um dem Busfahrer zu signalisieren, dass er einsteigen möchte. Der Busfahrer jedoch fährt weiter und ruft Vasil eine hasserfüllte Beschimpfung zu, die Vasil mit „Motherfucking Gipsy“ übersetzt.

Vasil geht an diesem Tag nicht in die Schule und fragt sich was er, ein 13-jähriges Kind, getan hat, um so behandelt zu werden. „Was habe ich ihm denn angetan?“

David Uekötter (links) und Sebastian Ritter im Interview mit Vasil.

Er erzählt daraufhin von seiner Zeit auf dem Gymnasium, in der er immer wieder von Hooligans der Vereine Lokomotive Plowdiw und Botew Plowdiw beschimpft und ausgeraubt wurde. Er war der einzige Roma auf seiner Schule.
„ Aber das hat mich nicht gebrochen“, sagt Vasil. „Ich habe einfach immer weiter gemacht mit den wichtigen Dingen, wie lernen für die Schule und habe viele Freunde auf der Schule gefunden. Ich habe immer versucht ruhig zu bleiben.“

Die zweite Erfahrung, die Vasils Blick auf die Welt verändert hat, ist eine herzzerreißende Liebesgeschichte. Mit 17 Jahren hatte er eine bulgarische Freundin, in die er sich verliebt hatte. Sie führten eine 3-monatige Beziehung, als sie plötzlich nicht zu einer Verabredung erschien. Wenn Vasil versuchte sie anzurufen, ging von nun an immer ihre Mutter ans Telefon und behauptete ihre Tochter sei nicht da. Bis seine Freundin nach zehn Tagen schließlich zu ihm kam und unter Tränen erzählte, dass einige Leute schlecht über ihre Eltern reden, weil ihre Tochter mit einem „Zigeuner“ zusammen sei.

Etwas später beendete Vasil aus Liebe zu ihr die Beziehung. Er hatte bemerkt, wie traurig sie immer war, wenn sie zu ihren Eltern zurück ging und wollte nicht, dass sie wegen ihm Probleme bekommt. Vasil wurde daraufhin depressiv. Der Gedanke, dass die Beziehung an seiner Hautfarbe gescheitert war und nicht, weil er irgendetwas falsch gemacht hatte, machte ihn fertig.

Nach einer Weile erzählt Vasil uns, wie schwer es für ihn ist einen Job zu finden, obwohl er einen Masterabschluss hat.

Auf die Frage, warum er nach Stolipinovo gezogen ist, antwortet er, dass es viel mit der Diskriminierung zusammenhängt, die er außerhalb seiner Mahalla verspürt. Er beschreibt dieses Gefühl, wie einen tiefen Schmerz, den er bis heute spürt. Ein unangenehmes Gefühl im Bauch. Eine Barriere im Kopf, die dazu führt, dass man nicht frei ist. Man nicht man selbst sein kann. „Überall wo du hingehst hast du diese Gedanken wie: Denken die anderen gerade, dass ich schlecht bin, oder verdächtig? Immer überlegt man: Wie kann ich Sie vom Gegenteil überzeugen?“

„Diese Dinge in deiner Jugend zu erleben, verändert dich“, beendet Vasil seine Erzählung.

Sebastian Ritter

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