09 Jul. Ausgrenzung Geflüchteter. Eine empirische Untersuchung am Beispiel Bautzen
Im Juni 2018 ist meine Studie „Ausgrenzung Geflüchteter. Eine empirische Untersuchung am Beispiel Bautzen“ im VS Verlag für Sozialwissenschaften erschienen. Hierin wird die Frage beantwortet, wie einzelne Kommune zu Orten der Ausgrenzung für Flüchtlinge werden. Dafür habe ich exemplarisch die ostsächsische Stadt Bautzen untersucht, wofür ich sowohl Statistiken, als auch Protokolle politischer Debatten, Medienberichte, teilnehmende Beobachtungen und über 100 leitfadengestützte Interviews mit Bürgerinnen und Bürgern, Geflüchteten, Politikern sowie Vertretern der Zivilgesellschaft und öffentlicher Einrichtungen ausgewertet habe. In diesem Artikel möchte ich einen kurzen Überblick zum Inhalt der Arbeit liefern.
Die Studie ist im Laufe des Jahres 2017 entstanden, als ich am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld arbeitete. Finanziert ist sie aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Anlass der Studie war die Beobachtung zum Jahreswechsel 2016/2017, dass es an einigen Orten vermehrt zu Übergriffen gegenüber Geflüchteten gekommen ist. Bei einer genaueren Durchsicht der Berichte wurde deutlich, dass solche Orte für Geflüchtete keine optimalen Rahmenbedingungen für einen Integrationsprozess bieten und sie teils Gewalt und Ausgrenzung ausgeliefert sind. Am IKG war uns klar, dass es viele Orte gibt, an denen dieses Phänomen auftritt, allerdings waren einige Fälle besonders gut dokumentiert. Eine dieser Kommunen war das sächsische Bautzen, was auch wegen weiterer Rahmenbedingungen interessant ist. Denn die Stadt hat eine relativ geringe Arbeitslosigkeit und mit der Nähe zu Polen und Tschechien sowie mit der lokal ansässigen Minderheit der Obersorben auch (eingeschränkte) Erfahrungen mit Diversität. Zudem ist es ein Zentrum der Oberlausitz und mit rund 40.000 Einwohnern relativ groß. Wir haben uns dann dazu entschieden Bautzen genauer zu untersuchen, um besser zu verstehen, wie eine Stadt zu einem Ort der Ausgrenzung für spezifische Gruppen, wie z.B. Geflüchtete, werden kann. Zwar wurde „nur“ eine Stadt genauer untersucht, aber es ist zu erwarten, dass gleiche Abläufe auch andernorts zu sehen sind. Bautzen steht demnach exemplarisch für eine allgemeine Tendenz in unserer Gesellschaft.
Und nun zum Buch, in dem die Forschungsfrage beantwortet wird: Nach der Einleitung (Kapitel 1), habe ich den Forschungsstand (Kapitel 2) zu vier Themenbereichen aufgearbeitet, die besonders hilfreich sind, um die empirische Forschung (z.B. Auswertung von Interviews) vorzubereiten. Diese sind:
- Studien zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit: Da untersucht werden soll, wie Städte zu Orten der Ausgrenzung für spezifische Gruppen werden, wurde zum einen dieser theoretische Ansatz gewählt, da er die Perspektive von Gruppen direkt mitdenkt. Zum anderen liegen rund ein duzend Studien vor, welche Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Städten untersuchen. So konnte ich auf bereits vorhandenem Wissen aufbauen.
- Kontexteffekte: Es wird davon berichtet, dass in manchen Städten ein „Klima“ der Ablehnung gegenüber Geflüchteten herrschen würde. Das spricht für den Forschungszweig von Kontexteffekten, da hier Wirkungen der Sozialstruktur oder auch verbreiteter Einstellungen in einem Wohngebiet u.a. auf die Normen und Einstellungen von Bewohnern untersucht werden. Um dieser Wirkungsweise auf die Spur zu kommen, wurden die bisher vorliegenden Befunde dazu zusammengetragen.
- Rechtspopulismus: In der Auseinandersetzung mit dem Thema der Studie wurde deutlich, dass es eines ausschließenden Deutungsrahmens gegenüber spezifischen Gruppen, z.B. Geflüchteten, bedarf, damit eine Stadt zum Ort erlebter Ausgrenzung wird. Konkret bietet der aufkeimende Rechtspopulismus in Deutschland einen solchen Deutungsrahmen. Daher habe ich die Befunde zu ihm zusammengefasst.
- Fluchtbewegung nach Deutschland: Da die Gruppe, die ich exemplarisch untersuche, Geflüchtete sind, wurden die neusten sozialwissenschaftlichen Befunde (seit 2014) zu diesen zusammengestellt.
Basierend auf diesen theoretischen Teilaspekten habe ich dann das Modell der feindseligen Orte entwickelt. Ein Modell liefert eine vereinfachende Erklärung eines Ausschnitts der Wirklichkeit. In diesem Fall geht es darum zu verstehen, wie eine Stadt zum Ort der Ausgrenzung für eine spezifische Gruppe, z.B. Geflüchtete, wird. Dabei werden, basierend auf vorherigen Arbeiten, Annahmen formuliert, welche empirisch geprüft werden oder als interpretativer Rahmen dienen. Eine der wichtigsten Punkte im Modell feindseliger Orte ist eine stattgefundene Normalitätsverschiebung. Das bedeutet, dass Verhaltensweisen die vorher als abweichend angesehen werden, nun umhinterfragter Alltag sind. Ein Merkmal ist, dass die neue Normalität vor Ort nicht, oder nur bruchstückhaft, als besonders wahrgenommen wird. Es geht sogar noch weiter, denn jeder, der die lokale Situation kritisiert, wird als „Feind der Stadt“ gesehen. Ein anderes Merkmal ist, dass bei Konflikten mit der ausgegrenzten Gruppe, z.B. Geflüchtete, asymmetrische Konfliktordnungen entstehen. So werden Geflüchteten in einer Konfliktsituation nicht dieselben sozialen Rechte zugestanden wie länger Ansässigen. Zudem wird jedes Fehlverhalten von ihnen deutlich wahrgenommen und überspitzt.
Nach dem theoretischen Teil folgt die Untersuchung zu Bautzen, die in vier Schritte aufgeteilt ist. Im ersten Schritt habe ich Statistiken ausgewertet, darunter die Befragung der Deutschen Zustände (Band 1 bis 10) zwischen 2001 und 2012), welche Vorurteile gegenüber Gruppen misst. Diese Daten sind auf der Ebene von Landkreisen und kreisfreien Städte auszuwerten. Das Ergebnis zeigt, dass im Landkreis Bautzen auch vor der Zuwanderung Geflüchteter die Ablehnung gegenüber Ausländern relativ hoch war, allerdings zeigte sich dies damals, wie in den Interviews im siebten Kapitel rauskommt, noch nicht in alltäglichen Handlungen. Zudem habe ich Stadtteildaten von Bautzen ausgewertet, um die soziale und ethnische Segregation in der Stadt zu untersuchen, die beide deutlich ausgeprägt sind.
Im zweiten Schritt habe ich 343 Protokolle von Debatten im Bundestag, dem sächsischen Landtag (überregionale Ebene), dem Kreistag Bautzen und dem Stadtrat Bautzen (lokale Ebene) sowie 1.408 Artikel aus überregionalen und lokalen Zeitungen ausgewertet. Das diente dazu um zu sehen, ob die lokalen Berichte bzw. Debatten über Geflüchtete in Bautzen sich von denen der überregionale Ebene unterscheiden. Die Idee war, dass wenn Unterschiede festzustellen sind, dies ggf. für eine Normalitätsverschiebung sprechen würde. Beides war der Fall, wobei die Unterschiede zwischen lokaler und überregionaler Ebene in den politischen Debatten stärker ausgeprägt waren, als im medialen Diskurs.
Im dritten Schritt, dem Kern der Arbeit, wurden 112 qualitative Interviews analysiert. Dafür haben ein Wissenschaftler mit eigener Fluchterfahrung, eine Studentin, eine gebürtige Bautzenerin und ich von April bis Juni 2017 in Bautzen gelebt. Es handelt sich dabei um sog. qualitative Interviews, welche thematisch fokussierte Gespräche sind. Aufgeteilt sind die Interviews in fünf Gruppen: Politiker, Geflüchtete, Vertreter öffentlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen, sog. Linksaktivisten und „normale“ Bürger. Bei der Gruppe der Bürger wurden vor allem (aber nicht ausschließlich) solche interviewt, die nirgends organisiert oder engagiert waren. Da es nicht unser Ziel war die Perspektive rechtsextremer Gruppen zu untersuchen, standen sie nicht im Fokus der Erhebung. Die Gruppe der selbst bezeichneten Linksaktivisten umfasst nur sechs Interviews und die Interviews ergaben sich im Laufe der Erhebung vor Ort. Sie sind Zeugnis der Konsequenz was passiert, wenn man sich in Bautzen offen gegen die rechtsextremen Szene stellt. Die Interviews mit Geflüchteten wurden auf Arabisch oder Englisch geführt. Jede Gruppe hatte eigene Fragen, wobei sich die Fragen zwischen den Gruppen ähnelte, sodass Vergleiche zwischen den Interviews sowie zwischen den Gruppen möglich sind. Alle Interviews wurden anonym geführt, aufgezeichnet und wortwörtlich abgeschrieben. Die Transkripte haben wir dann codiert, was bedeutet, dass die Interviews Zeile für Zeile nach angesprochenen Themen gelesen und verschlagwortet wurden.
Im Buch sind die Ergebnisse der Interviews detailliert pro Gruppe aufgeführt. Hier möchte ich aber nur eine Zusammenfassung liefern. Bei der Gruppe der Bürger zeigt sich, dass nur diejenigen überhaupt etwas von der Ausgrenzung Geflüchteter mitbekommen, die direkten Kontakt mit ihnen haben. Ansonsten werden Geflüchtete eher neutral bis negativ wahrgenommen, wenn auch es keine direkten Kontakte gibt. Bei Politikern ergibt sich ein ähnliches Bild, da einzig diejenigen angefeindet wurden, die sich aktiv für Geflüchtete eingesetzt haben. Nahezu alle interviewten Geflüchteten haben teils massive Diskriminierungserfahrungen gemacht, was bis hin zu Gewalt reicht, das Gleiche gilt für sog. Linksaktivisten. Vertreter zivilgesellschaftlicher und öffentlicher Organisationen wiederum nehmen die Ausgrenzung Geflüchteter wahr, was aber auch abhängig davon ist, ob sie direkten Kontakt mit ihnen haben oder nicht.
Im achten Kapitel, was den vierten Schritt bildet, habe ich die Normalisierungspraktiken der Ausgrenzung im Alltag beschrieben. Das Kapitel ist ethnografisch angelegt, was bedeutet, dass teilnehmende Beobachtungen, offene Gespräche mit Bewohnern sowie Dokumente (z.B. Screenshots von Twitter) ausgewertet wurden. Dazu gehört z.B. die Beschreibung der teilweise fremdenfeindlichen Graffitis in der Innenstadt, die Darstellung der Diskussionen um einen einzelnen auffällig gewordene Geflüchtete auf social media Plattformen sowie der ausführlichen Darstellung von Alltagserfahrungen, in denen es zu Übergriffen gegen Geflüchtete gekommen ist.
Im Alltag sind zwei Strategien der Ausgrenzung zu erkennen: Verharmlosung und Intellektualisierung. Ersteres meint die Entpolitisierung von Übergriffen. Ein Beispiel dafür ist, dass Übergriffe gegen Geflüchtete z.B. alleine aus dem übermäßigen Konsum von Alkohol resultieren würden. Letzteres, und das ist die besondere Leistung des Rechtspopulismus, wird vermeintlich objektiv erklärt, wieso Geflüchtete nicht nach Bautzen passen würden und eine Ausgrenzung so nur folgerichtig sei. Bemerkenswert ist, dass weder in den leitfadengestützten Interviews, noch in den vielen informellen Gesprächen mit Menschen in Bautzen, die Religion der Geflüchteten eine tragende Rolle spielte. Zwar wurde der Islam als nicht zu Deutschland gehörig betitelt, aber eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Religion oder auch, dass sie Ursache der Ausgrenzung Geflüchteter sei, wurde nur in Einzelfällen berichtet.
Das Buch schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse im Fazit. Dort wird auch die Forschungsfrage beantwortet und die Leistung der Arbeit theoretisch reflektiert. Es ist ein Fachbuch und grundlagenwissenschaftlicher Beitrag. Daher finden sich auch keine konkreten Lösungsvorschläge für die Situation in Bautzen. Denn, wie eingangs schon geschrieben, sehen wir ähnliche Phänomene auch in anderen Städten. Allerdings können die Analysen der Studie Entscheidungsträgern sowie Engagierten dazu dienen, die Situation und Entwicklungen an Orten besser zu verstehen, an denen es zu einer verstärkten Ausgrenzung spezifischer Gruppen, wie z.B. Geflüchteter, kommt. Auch halten uns die Ergebnisse vor Augen, welche Auswirkungen ein rechtspopulistischer Diskurs auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Alltag in unseren Städten hat.
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