19 Apr Bleibende Erinnerungen
Montag, den 15.04.2019
Ich bin nun einige Tage zurück in Deutschland und die Erlebnisse unserer Forschung sind dennoch sehr präsent. Viele der Begegnungen und Erlebnisse tauchen immer wieder in meinen Gedanken auf und ich möchte einige schöne Geschichten mit euch teilen.
Eine für mich sehr bewegende Situation hatte ich als ein Teil der Diskriminierungsgruppe mit Angel in seiner Nachbarschaft in Stolipinovo unterwegs war. Wir setzten uns in eine Art Cafe/Kneipe und wurden herzlichst von allen begrüßt. Die Frau des Kneipenbesitzers stand hinter der Theke, nachdem wir alle mit Kaffee oder Limonade versorgt waren, erklärte sie sich bereit, ein Interview mit mir zu führen.
Ich nenne sie, zum Schutz der Anonymität, Marina. Marina ist 30 und gehört zur Mehrheitsbevölkerung in Bulgarien, wohnt jedoch seit ca. 20 Jahren in Stolipinovo. Bevor unser Interview begann, bekam ich ein schönes und buntes Armband von ihr geschenkt. Wir hatten noch kein Wort miteinander gesprochen und trotzdem wurde ich beschenkt. Das Interview mit Marina war eines der prägendsten.
Sie erzählte viel über das Leben in Stolipinovo und wie herzlich und hilfsbereit alle sind. Sie macht es traurig zu sehen, dass alle Bewohner des Stadtteils in einen Topf geworfen werden, ohne dass viele sich ein eigenes, persönliches Bild machen. Für sie ist es nicht entscheidend, welche Religion oder Hautfarbe Menschen haben, sondern ob man ein guter oder schlechter Mensch ist. Sie selber muss nichts befürchten, wenn sie in der Innenstadt unterwegs ist, da sie zur Mehrheitsbevölkerung gehört. Sie erzählt jedoch von mehreren Geschichten ihrer Freunde, die regelmäßig verschiedenster Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt sind. Ich merke ihr an, wie sehr viele dieser Themen sie bewegen und sie im Redefluss stockt. Trotzdem lächelt sie mich an. Innerlich habe ich während des Gesprächs sehr mit ihr mitgefühlt, jedoch muss ich als Interviewer neutral bleiben und so habe ich versucht meine Emotionen zurückzuhalten.
Nach diesem spannenden Gespräch verbleiben wir noch eine Weile in der Kneipe und einige der Dinge, die Marina erzählt hat, beschäftigen mich weiterhin. Sie ist eine intelligente Frau, die mir weise Antworten geliefert hat und trotz eine gewissen Zufriedenheit bilde ich mir ein, einen Anflug von Traurigkeit gespürt zu haben.
Bevor wir uns verabschieden, kommt Marina auf mich zu und drückt mir einen Kugelschreiber in die Hand und sagt etwas auf Bulgarisch. Angel übersetzt für mich: „Diesen Stift schenke ich dir als Symbol damit du weiterhin gut studierst und deinen Abschluss machst. Vielleicht kannst du dann irgendwann die Geschichte Bulgariens verändern.“ Ich war in diesem Moment sehr sprachlos und habe sie einfach in den Arm genommen. Eine wildfremde Frau, mit der ich mich nur mithilfe eines Übersetzers unterhalten konnte, legt eine große Hoffnung in mich. Das werde ich nicht vergessen.
Dieser Nachmittag in der Kneipe hat mir gezeigt wie gastfreundlich, herzlich und liebevoll Menschen in Stolipinovo sein können.
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