11 Apr Herausforderungen für Familien in Stolipinovo
Einer der wichtigsten Dinge ist nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Menschen eines: die Familie. Sich gegenseitig zu unterstützen, sich zu beschützen, dem anderen Vertrauen entgegenzubringen und die aktive Teilnahme am Familienleben sind existentiell. Deshalb hat sich unsere Gruppe die Frage gestellt: Wie gestalten sich solche Familienstrukturen in anderen Ländern?
Dies wollen wir anhand der Methode der zuvor beschriebenen reflexiven Fotografie mit anschließender Gruppendiskussion erforschen.
Nach einem verregneten Tag war ich froh, dass zwei der Mütter, die am gestrigen Tag nicht aufgetaucht waren nun doch bereit für ein Gespräch mit uns waren. Die Gruppendiskussion fand in den Räumlichkeiten der örtlichen NGO statt. Ich führe die Diskussion, während Ina und Eliane Protokoll schreiben, um später die ausgedruckten Fotos besser zuordnen zu können.
Beide Frauen wirkten entspannt und nahmen sich viel Zeit um mit uns zu sprechen. Die erste Frau, welcher ich den fiktiven Namen Anelia geben werde, ist die Mutter der zweiten Frau Mariana, welches ebenfalls ein fiktiver Name ist. Anelia ist 35 Jahre alt wie sie uns im Verlauf des Interviews verrät. Ihre Tochter Mariana ist 18. Sie hat selbst ebenfalls eine Tochter (fast 3 Jahre), welche sie zur Gruppendiskussion mitgebracht hat. Außerdem ist sie erneut schwanger. Beide sind in Stolipinovo geboren, wohnen und leben dort.
Anelia wohnt mit ihrem Mann und ihrem jüngsten Sohn zusammen. Sie verrät uns, dass sie eine weitere Tochter (14) hat, welche jedoch mit ihrem eigenen Mann seit einem Jahr in Belgien lebt. Leider hat sie ihre Tochter seitdem nicht mehr gesehen, was sie offensichtlich belastet, sich jedoch nicht so einfach ändern lässt. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Transnationalität in Familien vorkommt, unabhängig vom Alter der Migrierenden. Sie versuchen diese Chance zu nutzen, um eine bessere Zukunft für sich und die gesamte Familie zu haben. Nicht nur Anelias Tochter lebt im Ausland sondern auch ihre eigene Mutter. Sie wohnt und arbeitet seit 18 Jahren in Deutschland, von wo aus sie Anelia regelmäßig Geld schickt. Dies erleichtere sie, da ihr Mann drogenabhängig sei und ihr eigenes Gehalt sonst nicht ausreichen würde. Trotzdem sei sie stolz darauf einen Job zu haben, da diese nur sehr schwer zu finden sind in Stolipinovo. Der Grund dafür wäre, dass es zu viele Menschen für zu wenig Jobs gäbe und die Löhne zu niedrig sind.
Das Café in dem sie arbeitet ist direkt gegenüber ihres Hauses, wo sie sieben Tage die Woche für drei Stunden arbeiten geht. Auf Nachfrage, ob sie ihre Arbeit mag, verneinte sie. Der Grund dafür sei der zu hohe Zigarettenkonsum und der entstehende Rauchgeruch.
Mariana wohnt ebenfalls mit ihrem Mann und ihrer Tochter zusammen in Stolipinovo. Sie erzählt uns, dass sie ihren Mann mit 14 aus Liebe geheiratet hat. Er ist jetzt 25 und kommt ebenfalls aus Stolipinovo. Frühe Hochzeiten seien keine Seltenheit, denn auch ihre Schwester habe mit 13 geheiratet. Anelia war zunächst gegen die Hochzeit ihrer älteren Tochter, stimmte dann aber doch zu. Das Familienleben strukturierte sich jedoch nicht so wie Anelia sich es für ihre Tochter gewünscht hat, weshalb sie für ihre zweite Tochter Geld dafür bekam, dass jemand sie heiratet. Dies sollte ihr die Möglichkeit geben, jemanden mit einem guten Job und sicherer Perspektive an ihrer Seite zu haben.
Anschließend fragt Mariana nach unserem Alter und ob wir schon verheiratet wären. Als wir dies verneinten lachte sie und sagte, dass wir froh darüber sein könnten. Sie machte deutlich, dass sie Opfer von häuslicher Gewalt ist, was laut ihrer Aussage jedoch häufig in Ehen vorkommen würde. Anelia bestätigte ihre Aussage und lies uns wissen, dass sie ebenfalls ein Opfer häuslicher Gewalt ist.
Mir ist bewusst, dass dies nur eine Seite des Ausdrucks der vorherrschenden Familienstruktur ist, denn trotz all dem herrscht in den Familien ein hoher Kohäsionsgrad. Außerdem haben die Menschen ein hohes Verantwortungsbewusstsein und unterstützen ihre Familienmitglieder in jeder Situation. Das ist vor allem daran zu erkennen, dass die Familien viel gemeinsam im Stadtteil unterwegs sind und auch mit anderen Familien Ausflüge ins Center unternehmen.
Ich bin sehr beeindruckt von den Menschen in Stolipinovo. Die Offenheit und den Mut der Mütter bewundere ich sehr. Ich bin dankbar dafür, dieses Gespräch geführt zu haben und so einen Einblick in das Leben als Familie in Stolipinovo bekommen zu haben.
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