Experteninterviews

Experteninterviews

Eine beliebte Methode um Informationen über einen Stadtteil oder eine Gruppe zu erlangen ist das Experteninterview. Die Idee Experten zu befragen ist den Blick von Akteursgruppen, wie die Soziale Arbeit oder Politik, zu erheben, um zum einen eine Perspektive „von außen“ zu bekommen und zum anderen Motivstrukturen der Experten selbst herauszuarbeiten. Wie Experteninterviews umgesetzt und ausgewertet werden können, wird im Folgenden beschrieben.

Zu Beginn muss festgelegt werden, wozu Experten überhaupt interviewt werden sollen und ob es mit dem eigenen Erkenntnisinteresse übereinstimmt. Wenn man die Segregation einer Gruppe, z.B. Zuwanderer aus Marokko, untersuchen will, sind Experteninterviews nicht so gut geeignet wie Daten der amtlichen Statistik. Wenn allerdings ein erster Überblick zu einem Phänomen, wie z.B. zu Gentrification in einem Wohngebiet, verschafft werden soll sind Experteninterviews durchaus geeignet.

Anschließend bedarf es der Auswahl des Interessensgegenstandes. Sind es die Experten selber, wie z.B. Politiker, mit der Absicht Entscheidungsprozesse zu skizzieren? Oder ist es eine Gruppe mit denen die Experten zu tuen haben, wie z.B. Mitarbeiter in Ausländerbehörden die mit Neuzuwanderern alltäglich im Kontakt sind? Die Überlegungen sind wichtig, um darauf aufbauend die richtigen Experten auszuwählen. Wer ein Experte ist, hängt demnach davon ab ob sie oder er aufgrund alltäglicher Erfahrungen etwas zum Interessengegenstand aussagen kann. Das müssen keine Fachkräfte sein, sondern können z.B. auch Bewohner eines Wohngebietes sein, wenn über die Nachbarschaft gesprochen wird.

Nach der Auswahl folgt die Kontaktaufnahme, um einen Termin zu vereinbaren. Erfahrungsgemäß hat sich der Anruf mit einem kurzen erläuternden Gespräch, worum es gehen soll, am besten bewährt. Zum Teil wird auch gewünscht die Anfrage anschließend noch mal per E-Mail zu schicken, doch ein vorheriges Telefonat erhöht durchaus die Chancen. Die Auswahl des Ortes des Interviews kann einen Einfluss auf die Qualität haben. Jedoch empfiehlt es sich bei Experteninterviews die Wahl den Experten zu überlassen, was meistens bedeutet, dass es Büroräumlichkeiten von ihnen sind. Das bringt auch den Vorteil mit sich, dass im Anschluss eines Gesprächs weitere Materialen, wie z.B. Flyer, mitgegeben werden können.

Zur Durchführung des Interviews empfiehlt es sich einen Leitfaden zu entwickeln, in denen offene Fragen (also solche, die keine Ja/Nein-Antworten zulassen!) gestellt werden. Dadurch wird das Gespräch zum einen offen gestaltet und zum anderen bleibt es auf den Interessengegenstand fokussiert. Ziel ist es, dass die Expertin oder der Experte möglichst viel zum Interessensgegenstand berichtet. Um das Gespräch möglichst frei zu gestalten und besser aufeinander reagieren zu können ist ein Diktiergerät bzw. Smartphone mit Aufnahmefunktion hilfreich. Dafür muss aber vorher das Einverständnis vom Interviewten eingeholt werden, dass man auch das Gespräch aufzeichnen darf. Zudem muss besprochen werden, ob der Name der Expertin oder des Experten auch genannt werden darf. Ansonsten arbeitet man am Besten mit Pseudonymen oder Betonung der Organisation, wie „Die Bundestagsabgeordnete sagte….“ Weiterhin bedarf es der Aufklärung über die Datenverwendung und wie die Expertin oder der Experte nachträglich von der Teilnahme zurücktreten kann.

Während des Gesprächs gibt es zwei Strategien. Zum einen kann man die Haltung eines Laien einnehmen, der kein Vorwissen zum Interessengegenstand hat. Das bietet sich zum Beispiel an, wenn man z.B. Nachbarschaftsbeziehungen oder Fluchterfahrungen erhebt. So können tief gehende Einblicke in die Lebenswelt und Sichtweisen des Gegenübers gewonnen werden. Eine zweite Strategie ist das Gespräch „auf Augenhöhe“. Dadurch werden Experten mit eigenem Fachwissen oder Aussagen anderer Experten konfrontiert, mit der Bitte diese zu kommentieren. Dadurch können Widersprüche und Konsistenzen im Diskurs ermittelt werden.

Soweit zur Datenerhebung, nun zur Datenaufbereitung und Analyse. Nicht zu unterschätzen werden sollte der Aufwand der Datenaufbereitung. Es führt kein Weg vorbei, für eine tief gehende Auswertung müssen die Gespräche transkribiert werden. Dazu gibt es mittlerweile aber auch (oftmals kostenpflichtige) Softwarelösungen, die durchaus hilfreich sein können (z.B. trint). Dazu gibt es unterschiedliche Regeln, wie man transkribieren soll (Siehe u.a Flick 2010), sowie Softwarelösungen, die beim Transkribieren helfen. Ich nutze dafür immer das Programm F4, aber es gibt noch andere. Der Grad der Formalität der Transkription hängt auch damit zusammen, wie man die Daten auswertet. Auch hier ist eine hohe Vielfalt der Strategien festzustellen. Hier wird die Strategie der kategoriengestützten Auswertung nach Gläser und Laudel (2010) vorgestellt, doch es gibt natürlich noch viele weitere mehr und jede bringt ihre eigenen Vor- und Nachteile mit sich.

Bei der kategoriengestützten Auswertung werden aus der Aufarbeitung des theoretischen Diskurses im Vorfeld Kategorien festgelegt. Untersucht man Nachbarschaftsbeziehungen, kann das z.B. sein „Aussagen zu Konflikten zwischen Nachbarn“. Damit werden erst einmal alle Aussagen dieser Kategorie in jeweils einem Interview zusammengetragen. Also wird jedes Interview erst einmal einzeln ausgewertet. Allerdings sollte bei der Festlegung der Kategorien auch das Material respektiert werden und wenn es viele Aussagen zu einem Thema gibt, welches im Vorhinein noch nicht im Kategoriensystem zu finden war, wird dieses als eigene Kategorie hinzugenommen. Wenn man mehrere Interviews auswertet, so müssen alle Interviews, die bis zur Festlegung einer neuen Kategorie bereits ausgewertet wurden nochmal durchgesehen werden. Anschließend können die Aussagen der jeweiligen Experten zu den einzelnen Kategorien die Kategorien über alle Interviews hinweg ausgewertet und interpretiert werden.

Einer der Vorteile von Experteninterviews liegt in ihrer relativ einfachen Kombinationsmöglichkeit mit anderen Methoden. So können z.B. nach einer Zeitungsanalyse zur Migrationspolitik auch Journalisten oder Politiker anhand der Ergebnisse dieser interviewt werden. Einschränkend ist anzumerken, dass Experteninterviews mitunter in ihrer Auswertung sehr aufwendig sein können und es einer genauen Recherche für den Interessengegenstand geeigneter Experten bedarf.

Literatur

Flick, Uwe. 2010. Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowolth Taschenbuch Verlag.

Gläser, Jochen, und Grit Laudel. 2010. Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

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