15 Dez Begriff: Radikalisierung
Nach Terroranschlägen wird immer wieder der Versuch unternommen zu verstehen, wie soetwas möglich war. Dabei wird auch die Entwicklung der Täter:innen in den Blick genommen. Dieser Prozess hin zum Extremismus wird als Radikalisierung bezeichnet. Im Folgenden soll der Begriff und die mit ihm verbundenen Annahmen erklärt werden.
Während Terrorismus als Gewaltakt gegen die staatliche Ordnung relativ einfach zu fassen ist, ist dies bei Radikalisierung wesentlich schwieriger. In der mittlerweile sehr breiten Diskussion über Radikalisierung wird aber einhellig davon ausgegangen, dass es ein Prozess ist, welcher bis hin zum Terrorismus reichen kann, aber nicht muss. Oder anders ausgedrückt: zwar ist jeder Terrorist radikalisiert, aber nicht alle Menschen die einen Radikalisierungsprozess durchlaufen werden zu Terroristen. Es gibt also ein „Dazwischen“, was den Begriff und was damit gemeint ist, schwierig zu fassen macht. Sicherheitsbehörden beziehen Radikalisierung allerdings als einen Prozess der Gewaltbefürwortung zur Durchsetzung eigener ideologisch begründeter Ziele:
„Radikalisierung ist die zunehmende Hinwendung von Personen oder Gruppen zu einer extremistischen Denk- und Handlungsweise und die wachsende Bereitschaft, zur Durchsetzung ihrer Ziele illegitime Mittel, bis hin zur Anwendung von Gewalt, zu befürworten, zu unterstützen und/oder einzusetzen.“ (Bundeskriminalamt o.J.)
Aus der Logik von Sicherheitsbehörden ist das eine nützliche Definition, sie deckt aber nicht das gesamte Spektrum ab, welches mit dem Phänomen einhergeht. Beispiele dafür sind pazifistische aber radikal anmutende Protestformen, wie ein Hungerstreik. Die Ausdehnung der sicherheitsbehördlichen Logik auf selbstverletzendes Verhalten würde diese Definition überdehnen. Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung von Radikalisierung geht also über die Fokussierung auf eine letztendliche Gewalttat hinaus.
Im Forschungsstand zu Radikalisierung finden sich drei Ansätze. Erstens wird versucht den Radikalisierungsverlauf zu beschreiben, wofür es viele unterschiedliche Modelle gibt. Allen gemein ist, dass sie verschiedene Abschnitte des Prozesses voneinander abgrenzen, ob nun in Phasen oder Stufen, und dass mit einer fortschreitenden Radikalisierung ideologische Bezüge immer stärkeres Gewicht bei der Perspektive auf die Welt erhalten und auch nicht mehr hinterfragt werden. Zweitens werden Ursachen für Radikalisierung gesucht, sogenannte root causes. Befunde weisen beispielsweise daraufhin, dass erfahrene Diskriminierung, digitale Praktiken oder auch Armut mögliche Ursachenkonstellationen für Radikalisierungsprozesse bilden können. Eng verbunden mit den root causes sind drittens biographische Ansätze, wie dem frühen Verlust eines Elternteils oder der Sozialisation in extremistischen Familien.
Alle genannten Ansätze helfen, Radikalisierungsprozesse besser zu verstehen und auch sie empirisch abzubilden. Alles in allem kann Radikalisierung als Prozess verstanden werden, an dessen Ende religiöse oder ideologische Rechtfertigungen für abweichendes Verhalten legitimiert werden. Ein solch ideologisch begründetes abweichendes Verhalten variiert dabei von der Gewaltbefürwortung bis hin zur Gewaltanwendung.
Siehe auch:
Zick, A., & Böckler, N. (2015). Radikalisierung als Inszenierung. Forum Kriminalprävention, 3, 6-16.
No Comments