09 Mai 30 Leva Kindergeld*
*umgerechnet etwa 17 € pro Monat
Ich sitze im Park auf einer Bank. Ein Park ist vielleicht in unserer Vorstellung eine gestaltete Grünfläche mit Bänken, Spielplätzen für Kinder, mit Alleen, Blumen und Bäumen, wo die Kinder spielen, Menschen spazieren gehen und die Sonne genießen. Genau wie in der Stadt Plovdiv. Wunderschön.
Ich aber befinde mich im Park von Stolipinovo. Das ist eine ganz andere Nummer, obwohl das nur 3 km vom Zentrum Plovdivs entfernt ist. Er liegt ziemlich zentral und ist sehr klein. Ein paar ältere Bänke, eine gebogene Eisenleiter, eine rostige Eisenkugel, die sich nicht mehr drehen lässt, alles war irgendwann auch bunt gestrichen. Viele Pflastersteine fehlen oder sind gebrochen. Einen grünen Baum oder Gras gibt es kaum zu sehen. Im Park befindet sich auch ein Dönerladen. Rundherum Läden von Schneiderei und Friseure bis Klamotten und Haushaltswaren. Verkäufer sitzen draußen, manche bieten auch etwas Gegrilltes an. In der Straße gegenüber sind die Reste von abgerissenen, illegalen Läden übrig geblieben.
Es ist ziemlich laut und viel los auf den Straßen, obwohl kein Passant ein konkretes Ziel hat. Keiner muss irgendwo hin nur um die Ecke. Viele Frauen in Hausschuhen laufen mit Kindern an der Hand. Es scheint alles familiär zu sein. Fast jeder kennt sich. Menschen verlassen ungern ihr Viertel, um in die Stadt zu gehen. Dort erfahren sie massive Diskriminierung. Kleine Kinder bleiben in der Nähe ihrer Mutter. Drei Jungs mit einem kaputten Roller laufen vorbei.
Im Park sitzen Leute im Rentenalter. Nur Männer. Genauso wie auf der Bank neben mir. Ein Mann – ca. 65-70 Jahre alt – hat ein Glas Rakija, raucht eine Zigarette. Er spricht mich nach 10 Minuten an. Wir können uns schlecht verstehen, er kann aber ein paar Worte auf Deutsch. Wie viele andere hier auch. Er gestikuliert mit der Hand und versucht zu erzählen, dass es hier keine Arbeit gibt. Allgemein sei es auch sehr schwer in Bulgarien. Früher gab es Arbeit, war alles besser. Er hat als Tischler in Plovdiv gearbeitet und machte Möbel für die Hotels. Heute ist es schwieriger geworden. Er macht einen Vergleich mit Deutschland. Schreibt auf ein Blatt Papier 30 Leva. Das ist das Kindergeld, was ein Kind hier bekommt. Umgerechnet etwa 17 € monatlich. Er weiß auch, dass in Deutschland ein Kind ca.194 € Kindergeld bekommt. Er bewegt wieder heftig seine Hand: “ Wo soll das hingehen?” und guckt wieder weg.
Was der Mann auf der Bank mit erzählt hat, verbinde ich mit dem, was mir die Leute in den Interviews auch erzählt haben. Ich verstehe es, wie schwer das Leben hier für die Kinder ist. Einige Eltern, die sich das Existenzminimum leisten können, haben die Möglichkeit, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Doch hier wird auf Bulgarisch unterrichtet, obwohl viele nur Türkisch oder Roma sprechen. Andere Eltern nennen als Problem, dass sie erst dann Kindergeld bekommen, wenn die Kinder die Schule besuchen. Viele Kinder besuchen aber keine Schule, weil es bis dahin ein langer Weg ist.
Vorrangig ist für die Familien, dass Nahrung und Kleidung da sind, manchmal suchen Kinder auch in Müll nach Essbarem oder nach Verwertbaren. Oft müssen die Menschen auch betteln. Diejenigen, die es ein bisschen besser haben, versuchen ihren Lebensunterhalt durch Handel oder Handwerk zu verdienen. Jeder verkauft vor dem Haus oder dem Block in improvisierten Kiosks oder Hütten was er am besten kann. Klamotten, Brot, Wasser und Getränke bis zu Gegrilltem, Obst, Gemüse und Zigaretten.
Für die Kinder gibt es kein geregeltes Freizeitangebot. Es gibt keine Vereine, keine entsprechenden Orte, wo die Kinder einfach hingehen können. Sie spielen auf der Straße. Eine Mädchengruppe springt Seil, eine Jungengruppe kickert ein paar Meter weiter unter einer Hütte. Die Chips müssen bezahlt werden.
Das Leben hier gleicht einem Kreislauf von Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit, dem man nicht entrinnen kann. Die Leidtragenden der Armut sind vor allem die Kinder. Eltern haben keine Arbeit, und weil sie kein Geld haben können die Kinder nicht zur Schule gehen mangelnde Bildung bedeutet oftmals lebenslang in Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung gefangen zu bleiben. Das Leben ist hier ein Kampf, der weiter so an Generationen weitergegeben wird.
Bildung könnte Integration und Aufstieg der Minderheit fördern, aber sie ist für viele Kinder und Familien in Stolipinovo schwer zugänglich. Vor der Bildung kommt das tägliche Überleben.
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