07 Apr Vorbereitungsbesuch in Stolipinovo
Plovdiv-Stolipinovo 07.04.2019
Heute war der erste Tag, den wir mit unserer Reisegruppe in Stolipinovo verbracht haben.
Nachdem wir vorgestern bereits mit der Forschungsgruppe rund um das Thema Familie in Stolipinovo die NGO „Youth Club Roma- Stolipinovo 1996“ vor Ort besucht haben und dabei erste Eindrücke von den Menschen im Viertel bekamen, hatten wir heute die Gelegenheit, uns mithilfe einzelner Bewohner die Gegend näher anzuschauen. Silvestar Kovachev – kurz Silva genannt- war so nett, uns Stolipinovo zu zeigen und wir kamen schnell ins Gespräch.
Er lebte bis zu seinem sechsten Lebensjahr in Stolipinovo, bevor seine Eltern mit ihm nach London zogen und dort bis heute mit seinem kleinen Bruder leben. Regelmäßig besucht der 18-Jährige Musikstudent Stolipinovo, um seine Großeltern zu besuchen. Außerdem unterstützt er die NGO und produziert in London Musikvideos während des Studiums. Wie auch die bisherigen neuen Bekanntschaften machte er einen sehr netten Eindruck, während er so zuvorkommend war, uns durch die engen, menschengefüllten Gassen Stolipinovos zu führen.
Insgesamt gab es reichlich unterschiedliche Eindrücke. Neben deutlich ungepflegten Wohnblocks standen unverputzte Häuser aus nacktem Mauerwerk. Die Straßen, die wir durchquerten, waren eng und gefüllt mit Menschen. Abwechselnd roch es nach Tieren wie Hund oder Pferd und gegrilltem Hähnchen oder Brot. Wir besuchten einen Teil des Viertels, in dem nach Silvas Aussage viele Menschen eine Verbindung nach Dortmund hätten. Es war eine breite Straße mit einem ebenso breiten, grauen und verschmutzten Wohnblock, welcher einen Kontrast zu den zuvor gesehenen gepflegten Geschäften und den farbenfrohen Kleidungen bildete.
Insgesamt schien das Viertel viele Facetten zu präsentieren. Neben hübschen Geschäften und modern gekleideten Leuten sahen wir erkrankte Tiere und schmutzig gekleidete Menschen. In der Regel war die Bevölkerung kontaktfreudig und interessiert an uns und keineswegs einschüchternd oder gefährlich.
Anschließend traf sich unsere gesamte Projektgruppe samt Rundführenden im „Youth Club“. Dort stellte sich Asen Karagyozov vor. Er ist einer der Hauptverantwortlichen der Institution. Außerdem kandidiert er zum Stadtrat in Plovdiv und stellt grundsätzlich einen politischen Dreh- und Angelpunkt des Viertels dar.
Asen vermittelte uns Eindrücke in die schwierige politische Lage für Roma in Bulgarien durch eine konservative bis rechtsextrem aufgestellte Regierung. Er beschrieb auch die Finanzierung von Projekten als problematisch, da die Gelder in der Regel nicht oder nur in geringem Maße tatsächlich die Communities erreichten.
Ein Beispiel ist das Projekt „getTo Stolipinovo“, welches durch einen Bruchteil des gewünschten Geldes nun in veränderter Form stattfindet. Es besteht nun aus drei Teilen:
#GetTo Explore :
Dies ist der Teil des Projektes, in dem verschiedene Geschichten in Stolipinovo zusammengetragen werden. Von Anekdoten des Alltags bis zu traditionellen Erzählungen oder Märchen kann alles dabei sein. Dazu werden Workshops angeboten.
#GetTo Action:
Seit Januar 2018 finden bis Dezember 2019 Workshops statt. Es sollen Konzepte mit den Jugendlichen entwickelt werden, um Community-bezogene Probleme in Angriff zu nehmen.
#GetTo Share:
Das Dritte und letzte Projekt bedient sich aus den Ergebnissen der ersten beiden Projekte. Es bildet das Sprachrohr der „getTo Stolipinovo“- Aktionen. Es soll eine Plattform entstehen, auf der alle gesammelten Stories und Ergebnisse der Projekte mit der Öffentlichkeit geteilt werden können.
Schlussendlich war unser erster gemeinsamer Tag von diversen Eindrücken geprägt. Wir trafen aufgeschlossene Menschen in unbeschreiblich kritischen Lebenssituationen unterschiedlichster Ausprägungen, welche anhand der äußeren Erscheinung Stolipinovos und seiner Community erfahren werden konnten. Des Weiteren erfuhren wir viel über die politischen und ökonomischen Umstände, in denen sich die Leute bewegen und über die Strategien, die unsere Gastgeber des „Youth Club Roma – Stolipinovo 1996“ verfolgen, um sie zu verändern .
In mir löste es gemischte Gefühle aus, durch die Straßen zu gehen. Ich war positiv von der Aufgeschlossenheit der Community überrascht, verstand aber nicht so recht, wie ich die unzumutbaren Wohn- und Gesundheitsbedingungen beurteilen sollte. Gespannt schauen wir in die nächsten Tage.
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